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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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er einen Geigenlehrer gehabt, der von seiner musikalischen Begabung so beeindruckt war, daß er ihm eine glorreiche Zukunft voraussagte. Er hatte sich heimlich Kompositionsunterricht geben lassen, er arbeitete jetzt allein, und er hatte schon eine unklare Vorstellung, die Vorstellung von einer Sinfonie über das irdische Paradies; ein Stück war sogar bereits gefunden, die Vertreibung Adams und Evas durch den Engel, ein Marsch von feierlichem und schmerzlichem Charakter, den er eines Abends Pauline vorzuspielen geruhte. Das Mädchen stimmte allem zu, fand das alles sehr gut. Dann äußerte sie ihre Meinung. Zweifellos mußte es Freude machen, schöne Musik zu komponieren; aber vielleicht wäre es vernünftiger von ihm, wenn er seinen Eltern gehorchte, die einen Präfekten oder einen Richter aus ihm machen wollten. Das Haus war tief bekümmert über den Streit zwischen Mutter und Sohn, denn dieser sprach davon, daß er sich in Paris beim Konservatorium vorstellen wolle, während jene ihm noch bis zum Oktober Zeit ließ, sich den Beruf eines rechtschaffenen Mannes zu wählen. Und Pauline unterstützte den Plan ihrer Tante, der sie mit ihrer ruhig überzeugten Miene angekündigt hatte, sie werde es übernehmen, ihren Cousin umzustimmen. Man lachte darüber, der wütende Lazare schloß heftig das Klavier und schrie ihr zu, sie sei »eine dreckige Spießbürgerin«.
    Sie waren drei Tage miteinander böse, dann versöhnten sie sich wieder. Um Pauline für die Musik zu gewinnen, hatte er es sich in den Kopf gesetzt, ihr Klavierspielen beizubringen. Er führte ihre Finger über die Tasten, ließ sie stundenlang Tonleitern rauf und runter spielen. Aber sicherlich brachte sie ihn zur Verzweiflung durch ihren Mangel an Begeisterung. Sie war nur darauf aus, zu lachen, sie fand es drollig, Minouche die Tastatur entlangspazieren zu lassen, deren Pfoten barbarische Sinfonien aufführten; und sie schwor, die Katze spiele den berühmten Auszug aus dem irdischen Paradies, worüber sogar der Komponist lachen mußte. Dann fingen die wilden Spiele wieder an, sie sprang ihm an den Hals, er wirbelte sie herum, während Minouche, die bei dieser Tanzerei mitmachte, vom Tisch auf den Schrank hüpfte. Was Mathieu betraf, so war er dazu nicht zugelassen, seine Freude war zu gewalttätig.
    »Laß mich in Frieden, du garstige kleine Spießbürgerin!« sagte Lazare eines Tages aufgebracht. »Mama wird dir das Klavierspielen beibringen, wenn sie will.«
    »Deine Musik ist zu nichts nütze«, erklärte Pauline rundheraus. »An deiner Stelle würde ich Arzt werden.«
    Empört sah er sie an. Jetzt auch noch Arzt! Wie kam sie darauf? Er ereiferte sich, er stürzte sich in seine Leidenschaft mit einem Ungestüm, das alles mit sich fortzureißen schien.
    »Hör zu«, schrie er, »wenn man mich hindert, Musiker zu werden, bringe ich mich um!«
    Der Sommer hatte Chanteau wieder ganz genesen lassen, und Pauline konnte mit Lazare ins Freie gehen. Das große Zimmer war verödet, in guter Kameradschaft galoppierten sie davon auf tolle Streifzüge. Einige Tage lang begnügten sie sich mit der Terrasse, auf der vom Seewind versengte Tamariskenbüschel dahinkümmerten; dann fielen sie in den Hof ein, zerschlugen die Kette der Zisterne, scheuchten das Dutzend magerer Hühner auf, die von Heuschrecken lebten, versteckten sich im leeren Pferdestall und im Wagenschuppen, von denen der Putz abblätterte; dann bemächtigten sie sich des Gemüsegartens, eines ausgedörrten Geländes, das Véronique wie ein Bauer umgrub, vier Beete, die mit knorrigem Gemüse besät und mit verkrüppelten, von den Nordweststürmen in derselben Richtung gebeugten Birnbäumen bestanden waren; und sie brauchten nur eine kleine Pforte aufzustoßen, und schon befanden sie sich auf der Felsenküste, unter freiem Himmel, im Angesicht des weiten Meeres. Pauline hatte die leidenschaftliche Neugier für dieses unermeßliche Wasser beibehalten, das in der hellen Julisonne jetzt so rein und so sanft dalag. Nach dem Meer schaute sie immer wieder von jedem Zimmer des Hauses aus. Aber sie war noch nicht hingekommen, und ein neues Leben begann, als sie sich mit Lazare losgelassen sah in die lebendige Einsamkeit des Strandes.
    Was für herrliche Streifzüge! Frau Chanteau schalt, wollte sie trotz ihres Vertrauens in die Vernunft der Kiemen in der Wohnung zurückhalten. Daher auch gingen sie niemals über den Hof, wo Véronique sie gesehen hätte; sie machten sich durch den Gemüsegarten davon und waren

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