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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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mein Liebling, du lohnst es uns gut, daß wir dich zu uns genommen haben!«
    Alles wurde geregelt. Lazare sollte am 1. Oktober abreisen. Da begannen die beiden im September ihre Streifzüge mit noch mehr Schwung von neuem, sie wollten ihr schönes ungebundenes Leben würdig beschließen. Bis zur Nacht verweilten sie auf dem Sand der Schatzbucht.
    Eines Abends lagen sie nebeneinander ausgestreckt und schauten zu, wie die Sterne gleich feurigen Perlen am verblassenden Himmel aufgingen. Pauline war ernst und erfüllt von der ruhigen Bewunderung eines gesunden Kindes. Lazare, der fieberhaft erregt war, seit er sich auf die Abreise vorbereitete, zuckte nervös mit den Lidern, und seine Sprunghaftigkeit riß ihn unaufhörlich zu neuen Plänen fort.
    »Wie schön, die Sterne«, sagte sie feierlich nach langem Schweigen.
    Er ließ das Schweigen wieder herabsinken. Seine Fröhlichkeit klang nicht mehr so hell, ein inneres Unbehagen trübte seine weit geöffneten Augen. Am Himmel nahm das Sternengewimmel von Minute zu Minute zu, als hätte man Schaufeln voller Glut quer durch die Unendlichkeit geworfen.
    »Du hast das nicht gelernt«, murmelte er schließlich. »Jeder Stern ist eine Sonne, um welche solche Gebilde wie die Erde rollen; es gibt Milliarden davon, und dahinter wieder andere, immer wieder andere ...«
    Er schwieg, mit von heftigem Schauer erstickter Stimme begann er dann wieder:
    »Ich betrachte die Sterne nicht gern ... Das macht mir angst.«
    Das steigende Meer ließ eine ferne Wehklage ertönen, gleich der Verzweiflung einer Menschenmenge, die ihr Elend beweint. Über dem unermeßlichen, jetzt schwarzen Horizont flammte der fliegende Staub der Welten. Und in dieser Klage der Erde, die unter der unendlichen Zahl der Sterne erdrückt wurde, glaubte das Mädchen neben sich ein Schluchzen zu hören.
    »Was hast du denn? Bist du krank?«
    Er antwortete nicht, er schluchzte, das Gesicht mit seinen heftig verkrampften Händen bedeckend, als wolle er nichts mehr sehen. Als er zu reden vermochte, stammelte er:
    »Oh, sterben, sterben!«
    Pauline bewahrte eine verwunderte Erinnerung an diese Szene. Lazare hatte sich mühsam erhoben, sie kehrten im Dunkel nach Bonneville zurück, während ihnen die Wellen schon um die Füße spülten; und beide fanden sie einander nichts mehr zu sagen. Sie sah ihn vor sich gehen, er schien ihr kleiner geworden, gebeugt unter dem Wind, der von Westen wehte.
    An jenem Abend erwartete sie ein neuer Besuch, der im Eßzimmer mit Chanteau plauderte. Seit acht Tagen rechnete man mit dem Eintreffen von Louise, einem elfeinhalbjährigen Mädchen, das jedes Jahr fünfzehn Tage in Bonneville verbrachte. Doch zweimal hatte man schon den Weg nach Arromanches umsonst gemacht; und nun schneite sie ihnen plötzlich eines Abends ins Haus, als man gar nicht an sie dachte. Louises Mutter war in Frau Chanteaus Armen gestorben und hatte dieser ihre Tochter ans Herz gelegt. Der Vater, Herr Thibaudier, ein Bankier aus Caen, hatte sich ein halbes Jahr später wieder verheiratet und schon drei Kinder aus der zweiten Ehe. Da er von seiner neuen Familie in Anspruch genommen war und den Kopf voller Zahlen hatte, ließ er die Kleine im Pensionat und war froh, wenn er sie in den Ferien los wurde und zu Freunden schicken konnte. Meist bemühte er sich nicht einmal selbst, ein Diener hatte das kleine Fräulein mit acht Tagen Verspätung gebracht. Herr Thibaudier habe so viel um die Ohren! Der Diener hatte noch gesagt, Herr Thibaudier werde sein möglichstes tun, um das Fräulein persönlich abzuholen, und war sogleich wieder zurückgefahren.
    »So komm doch, Lazare!« rief Chanteau. »Sie ist hier!«
    Lächelnd küßte Louise den jungen Mann auf beide Wangen. Sie kannten sich jedoch wenig, weil sie immer in ihrem Pensionat wie in einem Kloster eingesperrt war und er vor kaum einem Jahr das Gymnasium verlassen hatte. Ihre Freundschaft rührte erst von den letzten Ferien her; und er hatte sie außerdem förmlich behandelt, weil er spürte, daß sie schon gern kokettierte und sich aus den lauten Kinderspielen nichts machte.
    »Nun, Pauline, willst du sie nicht umarmen?« fragte Frau Chanteau, die eben hereinkam. »Sie ist anderthalb Jahre älter als du ... Habt euch lieb, das würde mir Freude machen.«
    Pauline sah Louise an, die schlank und zart war, ein unregelmäßiges, aber sehr reizvolles Gesicht und schönes blondes, wie bei einer Dame zu einem Knoten geschlungenes und gekräuseltes Haar hatte. Sie war blaß

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