Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
bis zum Abend verschwunden. Bald fanden sie die Spaziergänge um die Kirche, die Winkel des von Eiben geschützten Friedhofs, die paar Salatköpfe des Pfarrers langweilig; und in acht Tagen hatten sie auch ganz Bonneville ausgiebig erforscht, die dreißig an die Felsen geklebten Häuser, die Geröllbank, wo die Fischer ihre Boote an Land zogen. Unterhaltender war es, bei Ebbe unterhalb der Felsenküste sehr weit hinauszugehen: Sie schritten über feinen Sand, aus dem Krabben entflohen, sie sprangen zwischen den Algen von Fels zu Fels, um den kleinen Bächen mit klarem Wasser auszuweichen, die voller zappelnder Garnelen waren; gar nicht zureden vom Fischen, von den Muscheln, die sie ohne Brot und roh aßen, von den seltsamen Tieren, die sie in einem Taschentuchzipfel mitnahmen, von unerwarteten Funden, einer verirrten Kliesche, einem kleinen Hummer, den sie tief in einem Loch herumkrabbeln hörten. Das Meer stieg wieder, sie ließen sich bisweilen von ihm überraschen, spielten Schiffbrüchige, die sich auf irgendein Riff geflüchtet hatten, bis das Wasser freundlichst wieder zurückging. Sie waren entzückt, sie kehrten bis zu den Schultern durchnäßt heim mit vom Winde zerzaustem Haar und waren so an die frische Salzluft gewöhnt, daß sie am Abend klagten, sie müßten unter der Lampe ersticken.
    Doch ihre größte Freude war das Baden. Der Strand war zu felsig, um die Familien aus Caen und Bayeux anzulocken. Während sich die Felsenküste von Arromanches in jedem Jahr mit neuen Sommerhäusern bedeckte, ließ sich in Bonneville nicht ein Badegast sehen. Sie nun hatten einen Kilometer vom Dorf entfernt in Richtung auf PortenBessin einen entzückenden Winkel entdeckt, eine zwischen zwei Felsenhänge eingebettete kleine Bucht mit feinem, goldenem Sand. Sie nannten sie die Schatzbucht wegen ihrer einsamen Flut, in der Zwanzigfrancsstücke zu rollen schienen. Dort waren sie zu Hause, entkleideten sich ohne Scheu. Er plauderte weiter, drehte sich halb um und knöpfte seinen Badeanzug zu. Sie hielt einen Augenblick mit dem Mund das Bündchen ihres Hemds fest, erschien dann mit einem nach Knabenart um die Hüften geschlungenen wollenen Gürtel. In acht Tagen brachte er ihr das Schwimmen bei: Das machte ihr mehr Spaß als das Klavierspiel, sie zeigte dabei so viel Beherztheit, daß sie oft tüchtig Meerwasser schlucken mußte. Jung wie sie waren, lachten sie in dieser herben Frische, wenn eine stärkere Woge sie übereinanderpurzeln ließ. Sie kamen von Salz glänzend aus dem Wasser, sie ließen ihre nackten Arme im Wind trocknen, ohne bei ihren kecken Lausbubenspielen innezuhalten. Das machte noch mehr Spaß als das Fischen.
    Die Tage vergingen, es war jetzt Anfang August, und Lazare traf keinerlei Entscheidung. Pauline sollte im Oktober in ein Pensionat in Bayeux kommen. Wenn das Meer sie in glücklicher Mattigkeit hatte erschlaffen lassen, streckten sie sich im Sande aus und sprachen sehr vernünftig über ihre Angelegenheiten. Es gelang ihr schließlich, ihn für die Medizin zu interessieren, indem sie ihm erklärte, daß sie, wäre sie ein Mann, leidenschaftlich gern Menschen heilen würde. Gerade seit einer Woche stand es schlecht um das »Irdische Paradies«, er zweifelte an seinem Genie. Gewiß, es hatte auch medizinische Ruhmestaten gegeben, große Namen fielen ihm wieder ein, Hippokrates6, Ambroise Paré7 und so viele andere. Doch eines Nachmittags brach er in Freudengeschrei aus, jetzt hatte er die Idee zu seinem Meisterwerk: Das war ja albern, das Paradies, er zerriß das alles, er schrieb die »Schmerzenssinfonie«, ein Blatt, auf dem er in erhabenen Harmonien die verzweifelte Klage der unter dem Himmel schluchzenden Menschheit aufzeichnete; und er verwendete seinen AdamundEvaMarsch, er machte ohne viel Federlesens daraus den Todesmarsch. Acht Tage lang wuchs seine Begeisterung von Stunde zu Stunde, er nahm das ganze Weltall in seinen Entwurf hinein. Eine weitere Woche verstrich, seine Freundin war eines Abends sehr erstaunt, ihn sagen zu hören, er würde trotzdem gern zum Medizinstudium nach Paris gehen. Er hatte sich überlegt, daß er dadurch dem Konservatorium näher kommen würde: Erst einmal in Paris sein, dann würde er schon weitersehen. Das war eine große Freude für Frau Chanteau. Sie hätte ihren Sohn lieber im Beamtenstand oder im Richteramt gesehen; aber die Ärzte waren wenigstens ehrbare Leute, die viel Geld verdienten.
    »Du bist wohl eine kleine Fee?« sagte sie und küßte Pauline. »Ach,

Weitere Kostenlose Bücher