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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Kuß auf den Mund. Das Zimmer drehte sich, es schien ihnen, als risse sie ein Flammenwind ins Leere. Sie fiel hintenüber, da machte sie sich mit Gewalt frei. Sie blieben einen Augenblick beklommen stehen, waren hochrot und wandten den Kopf ab. Dann setzte sie sich, um Atem zu schöpfen, und ernst und verstimmt sagte sie:
    »Du hast mir weh getan, Lazare.«
    Von diesem Tage an mied er sogar die laue Wärme ihres Atems, das Streifen ihres Kleides. Der Gedanke an einen dummen Fehltritt, ein Fallen hinter irgendeiner Tür, empörte seine Rechtschaffenheit. Trotz des instinktiven Widerstandes des jungen Mädchens sah er schon, wie sie, benommen vom Blut, bei der ersten Umarmung die Seine wurde, weil sie ihn so sehr liebte, daß sie sich ganz hingeben würde, wenn er es verlangte; und er wollte Besonnenheit für beide haben, er begriff, daß er der Hauptschuldige bei einem Abenteuer sein würde, dessen Gefahr er allein mit seiner Erfahrung vorauszusehen vermochte. Doch seine Liebe wurde stärker bei diesem gegen sich selbst geführten Kampf. Alles hatte ihre Glut entfacht, die Untätigkeit der ersten Wochen, seine angebliche Entsagung, sein Lebensüberdruß, aus dem die wilde Lust, zu leben, zu lieben, die Langeweile der leeren Stunden mit neuen Leiden zu füllen, wieder erwuchs. Und die Musik versetzte ihn jetzt vollends in Schwärmerei, die Musik, die sie auf den unaufhörlich ausgebreiteten Schwingen des Rhythmus gemeinsam ins Reich der Träume emportrug. Jetzt glaubte er eine große Leidenschaft festzuhalten, er schwor sich, sein Genie in ihr zu bilden. Es bestand kein Zweifel mehr: Er würde ein berühmter Musiker werden, denn er brauchte nur aus seinem Herzen zu schöpfen. Alles schien sich zu läutern, er tat so, als betete er seinen guten Engel auf Knien an, es kam ihm nicht einmal der Gedanke, die Heirat zu beschleunigen.
    »Da, lies doch diesen Brief, den ich soeben erhalten habe«, sagte Chanteau eines Tages erschrocken zu seiner Frau, die gerade aus Bonneville zurückkam.
    Es war abermals ein Brief von Saccard, diesmal aber ein Drohbrief. Seit November verlangte er eine Vermögensaufstellung; und da die Chanteaus mit Ausflüchten antworteten, kündigte er schließlich an, daß er ihre Weigerung vor dem Familienrat zur Sprache bringen werde. Frau Chanteau war ebenso von Entsetzen erfaßt wie ihr Mann, obwohl sie es nicht eingestand.
    »Dieser Lump!« murmelte sie, nachdem sie den Brief gelesen hatte.
    Die beiden Gatten waren bleich geworden und schauten sich schweigend an. Schon hörten sie in der leblosen Luft des kleinen Eßzimmers das Dröhnen eines Skandalprozesses.
    »Du darfst nicht länger zögern«, begann der Vater wieder. »Verheirate sie, da doch die Heirat mündig macht.«
    Doch dieser Ausweg schien der Mutter mit jedem Tage mehr zu widerstreben. Sie äußerte Befürchtungen. Wer wußte denn, ob die beiden Kinder zueinander paßten? Man konnte ein gutes Freundespaar abgeben und dennoch eine abscheuliche Ehe führen. In der letzten Zeit, so sagte sie, hätten sehr viele unerfreuliche Beobachtungen sie stutzig gemacht.
    »Nein, siehst du, es wäre schlecht, sie unserem Frieden zu opfern. Warten wir noch ... Und im übrigen, warum sollen wir sie jetzt verheiraten, da sie ja im vergangenen Monat achtzehn Jahre alt geworden ist und wir die gesetzliche Mündigkeitserklärung verlangen können?«
    Ihre Zuversicht kehrte wieder, sie ging hinauf, ihr Gesetzbuch zu holen, und beide studierten es. Der Artikel 478 beruhigte sie, während sie angesichts des Artikels 480, in dem gesagt wird, daß über die Vormundschaft vor einem vom Familienrat ernannten Kurator Rechenschaft abzulegen sei, sehr verlegen waren. Gewiß, sie hatte alle Mitglieder des Familienrates in der Hand, sie würde schon dafür sorgen, daß sie zum Kurator ernannten, wen sie wollte; allein, wen soll man sich da aussuchen, wo jemand hernehmen? Das Problem bestand darin, an die Stelle eines gefürchteten Gegenvormunds einen gefälligen Kurator zu setzen.
    Plötzlich hatte sie eine Eingebung.
    »Wie wäre es mit Doktor Cazenove? Er ist ein wenig mit unseren Angelegenheiten vertraut, er wird nicht ablehnen.«
    Chanteau stimmte mit einem Kopfnicken zu. Aber er sah seine Frau fest an, ein Gedanke beschäftigte ihn stark.
    »Du wirst also«, fragte er schließlich, »das Geld zurückgeben, ich meine das, was übrigbleibt?«
    Sie antwortete nicht sogleich. Sie hatte den Blick gesenkt und blätterte mit nervöser Hand im Gesetzbuch. Dann sagte sie mit

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