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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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wollte, von neuem begeistert. Alles übrige erschien ihm schlecht, er würde nur den Marsch beibehalten. Aber was für ein Thema war das doch! Was für ein Werk war da zu schreiben! Und er faßte darin seine Philosophie zusammen. Am Anfang sollte das Leben entstehen durch die selbstsüchtige Laune einer Kraft; dann sollte in ergreifenden Zügen die Illusion des Glücks, der Schwindel des Daseins folgen, eine Vereinigung Liebender, ein Gemetzel von Soldaten, ein am Kreuze sterbender Gott; immer würde der Schrei des Bösen emporsteigen, würde das Geheul der Wesen den Himmel erfüllen, bis zum Schlußgesang der Erlösung, einem Gesang, dessen himmlische Süße die Freude über die allgemeine Vernichtung zum Ausdruck bringen sollte. Gleich am nächsten Morgen war er bei der Arbeit, hämmerte auf dem Klavier herum und bedeckte das Papier mit schwarzen Strichen. Da das mehr und mehr geschwächte Instrument nur noch ächzte, sang er selber die Töne mit Glockengedröhn. Nie zuvor hatte ihn eine Arbeit dermaßen mitgerissen, er vergaß darüber die Mahlzeiten, er dröhnte Pauline damit die Ohren voll, die das alles, gutmütig, wie sie war, sehr schön fand und ihm die Stücke säuberlich abschrieb. Dieses Mal hielt er sein Meisterwerk in Händen, dessen war er gewiß.
    Gleichwohl beruhigte Lazare sich schließlich. Es blieb ihm nur noch der Anfang zu schreiben, für den ihm nichts einfallen wollte. All das schlummerte wohl noch. Und er rauchte Zigaretten vor seiner auf dem großen Tisch ausgebreiteten Partitur. Nun spielte Pauline Stellen daraus mit schülerhafter Ungeschicklichkeit. Zu diesem Zeitpunkt wurde ihre Vertrautheit gefährlich. Sein Hirn hatte nichts mehr zu tun, seine Glieder waren nicht mehr ermüdet von der Plackerei mit der Fabrik; und jetzt, da er sich neben ihr, unbeschäftigt und das Blut von Faulheit gepeinigt, eingeschlossen fand, liebte er sie mit wachsender Zärtlichkeit. Sie war so heiter, so gut! Sie opferte sich so freudig auf! Er hatte zunächst geglaubt, einer bloßen Regung von Dankbarkeit nachzugeben, einer Verdoppelung jener brüderlichen Zuneigung, die sie ihm von Kindheit an einflößte. Doch nach und nach war das bis dahin schlummernde Verlangen erwacht: Er sah endlich ein Weib in diesem jüngeren Bruder, den er bislang bei den breiten Schultern gefaßt und geschubst hatte, ohne vom Duft des Weibes verwirrt zu werden. Jetzt wurde er rot wie sie, wenn er sie streifte. Er wagte nicht mehr, ihr nahe zu kommen, sich über ihre Schulter zu beugen, um einen Blick auf die Musik zu werfen, die sie abschrieb. Wenn ihre Hände sich trafen, verharrten sie beide stammelnd, ihr Atem ging rascher, ihre Wangen wurden von einer Flamme verbrannt. Von nun an vergingen so die ganzen Nachmittage in einem Unbehagen, nach dem sie sich wie zerschlagen fühlten, gequält von dem verworrenen Verlangen nach einem Glück, das ihnen fehlte.
    Um einer jener Verwirrungen zu entrinnen, unter denen sie auf köstliche Weise litten, scherzte Pauline zuweilen mit der schönen Kühnheit eines wissenden unberührten Mädchens.
    »Ach! Hab ich es dir nicht gesagt? Ich habe geträumt, dein Schopenhauer habe in der anderen Welt von unserer Heirat erfahren und sei des Nachts gekommen, uns an den Füßen zu ziehen.«
    Lazare lachte gezwungen. Er verstand wohl, daß sie sich über seine ständigen Widersprüche lustig machte; aber eine unendliche Zärtlichkeit durchdrang ihn, tilgte seinen Haß gegen den Lebenswillen.
    »Sei nett«, murmelte er. »Du weißt, daß ich dich liebe.«
    Sie setzte eine strenge Miene auf.
    »Sieh dich vor! Du wirst die Erlösung hinausschieben ... Du bist schon wieder in Egoismus und Wahn verfallen.«
    »Willst du wohl schweigen, du Giftnudel!«
    Und er jagte sie durch das ganze Zimmer, während sie mit der dozierenden Stimme eines Doktors der Sorbonne14 weiter Bruchstücke pessimistischer Philosophie hersagte. Wenn er sie dann gefaßt hatte, wagte er es nicht, sie wie früher länger in den Armen zu halten und sie zur Strafe zu kneifen.
    Eines Tages indessen war die Jagerei so hitzig, daß er sie ungestüm bei den Lenden packte. Sie bebte am ganzen Leibe vor Lachen. Er drängte sie gegen den Schrank, geriet außer sich, da er fühlte, daß sie sich wehrte.
    »Ah! Diesmal habe ich dich ... Sag, was soll ich wohl mit dir machen?«
    Ihre Gesichter berührten sich, sie lachte noch immer, aber ein ersterbendes Lachen.
    »Nein, nein, laß mich los, ich fang nicht wieder an.«
    Er drückte ihr einen derben

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