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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Nach der Zerstörung seines Hauses hatte Cuche seine Frau verlassen, um sich bei einer Cousine einzunisten; und die Frau, die sich in ein verfallenes Zollwärterhäuschen zurückgezogen hatte, schlief trotz ihrer abstoßenden Häßlichkeit mit allen Männern im Dorf. Man gab ihr dafür etwas zu essen, manchmal schenkte man ihr auch drei Sous. Der Junge, der das alles miterlebte, kam vor Hunger um. Aber er sprang wie eine wilde Ziege davon, wenn man davon sprach, ihn aus dieser Kloake herauszuholen.
    Louise, der das alles peinlich war, wandte sich indessen mit verlegener Miene ab, während Pauline ihr ohne jede Verlegenheit diese Geschichte erzählte. Sie war frei erzogen worden und zeigte angesichts der Schandtaten der Menschen die ruhige Beherztheit der Nächstenliebe, sie wußte alles und sprach über alles mit der Freimütigkeit ihrer Unschuld. Louise hingegen, die durch zehn Jahre Pensionatsleben aufgeklärt war, errötete bei den Bildern, die in ihrem von den Träumen des Schlafsaales verwüsteten Kopfe durch die Worte wachgerufen wurden. Das waren Dinge, an die man wohl dachte, über die man aber auf keinen Fall sprechen durfte.
    »Da, siehst du«, fuhr Pauline fort, »die Kleine, die übrigbleibt, dieser so freundliche und so rosige Blondkopf von neun Jahren, das ist die Tochter von Gonins, von den Leuten, bei denen sich dieser Taugenichts, dieser Cuche, eingenistet hat ... Die Gonins waren sehr wohlhabend und hatten ein Boot; aber den Vater hat es an den Beinen erwischt, eine Lähmung, die in unseren Dörfern ziemlich häufig auftritt; und Cuche, zunächst ein einfacher Matrose, wurde bald der Herr über Boot und Frau. Jetzt gehört ihm das Haus, er verprügelt den Siechen, einen großen alten Mann, der Tag und Nacht in einer Kohlenkiste liegt, während der Matrose und die Cousine das Bett für sich behalten haben, und das in derselben Stube ... Nun kümmere ich mich um das Kind. Zu allem Unglück kriegt sie hier und da auch noch Ohrfeigen ab, ganz abgesehen davon, daß sie viel zu klug ist und vieles merkt ...« Sie unterbrach sich und fragte die Kleine: »Wie geht es zu Hause?«
    Die Kleine hatte mit den Blicken verfolgt, was da mit halber Stimme erzählt wurde. Ihr hübsches Gesicht einer lasterhaften kleinen Göre lachte verschlagen bei den Einzelheiten, die sie erriet.
    »Sie haben ihn wieder geprügelt«, entgegnete sie und lachte weiter dabei. »Heute nacht ist Mama wieder aufgestanden und hat ein Holzscheit genommen ... Ach, Mademoiselle Pauline, Sie wären sehr freundlich, wenn Sie ihm ein wenig Wein gäben, denn sie haben einen Krug vor die Kiste gestellt und geschrien, er könne ruhig verrecken.«
    Louise gab mit einer Handbewegung ihrer Empörung Ausdruck. Was für fürchterliche Leute! Und ihre Freundin brachte Teilnahme für diese Greuel auf! War es möglich, daß es so nahe bei einer großen Stadt wie Caen noch Löcher gab, in denen Menschen wohnten, die so lebten wie richtige Wilde? Denn schließlich konnten nur die Wilden alle göttlichen und menschlichen Gesetze so übertreten.
    »Nein, meine Liebe«, murmelte sie und setzte sich neben Chanteau. »Ich habe genug von deinen kleinen Freunden! Von mir aus kann das Meer sie holen, ich werde ihnen keine Träne nachweinen!«
    Der Abbé hatte soeben eine Dame bekommen. Er rief:
    »Sodom und Gomorrha! Ich warne diese Leute seit zwanzig Jahren. Da ist ihnen eben nicht zu helfen!«
    »Ich habe um eine Schule ersucht«, sagte Chanteau betrübt, weil er seine Partie gefährdet sah. »Doch es sind nicht genug, ihre Kinder sollen nach Verchemont gehen; aber sie gehen entweder gar nicht erst hin, oder sie treiben sich auf der Landstraße herum.«
    Pauline sah die beiden verwundert an. Wenn die Menschen, die sich im Elend befinden, sauber wären, brauchte man sie nicht sauber zu machen. Krankheit und Elend gingen Hand in Hand, sie empfand keinen Widerwillen angesichts des Leidens, selbst wenn es die Folge des Lasters zu sein schien. Sie begnügte sich damit, die Duldsamkeit ihrer Nächstenliebe mit einer weit ausholenden Gebärde zum Ausdruck zu bringen. Und sie versprach der kleinen Gonin, ihren Vater zu besuchen, als Véronique erschien und ein anderes kleines Mädchen vor sich her schob.
    »Da, Mademoiselle Pauline, hier ist noch eine!«
    Diese letzte, die noch ganz klein war, höchstens fünf Jahre alt, war völlig zerlumpt, hatte ein schwarzes Gesicht und zerzaustes Haar. Sogleich begann sie mit der außergewöhnlichen Dreistigkeit einer schon zur

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