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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Bettelei auf den Landstraßen abgerichteten kleinen Göre zu jammern:
    »Haben Sie Mitleid ... Mein armer Vater, der hat sich das Bein gebrochen ...«
    »Das ist die Tochter von Tourmals, nicht wahr?« fragte Pauline das Hausmädchen.
    Aber der Pfarrer brauste auf:
    »Ah, die Gaunerin! Hören Sie nicht auf sie, es ist schon fünfundzwanzig Jahre her, daß sich ihr Vater den Fuß verstaucht hat ... Eine Diebesfamilie, die nur von Stehlereien lebt! Der Vater hilft beim Schmuggeln, die Mutter plündert die Felder von Verchemont leer, der Großvater geht nachts auf der staatlichen Austernbank in Roqueboise Austern sammeln ... Und Sie sehen, was sie aus ihrer Tochter machen: eine Bettlerin, eine Diebin, die sie zu den Leuten schicken, um alles mitgehen zu heißen, was herumliegt ... Sehen Sie nur, wie sie nach meiner Tabakdose schielt.«
    Tatsächlich war in den flinken Augen der Kleinen, nachdem sie alle Winkel der Terrasse abgesucht, beim Anblick der alten Tabakdose des Priesters eine rasche Flamme aufgeblitzt. Aber sie verlor nicht ihre Dreistigkeit, sie wiederholte, als hätte der Pfarrer nicht ihre Geschichte erzählt:
    »Das Bein gebrochen ... Geben Sie mir etwas, mein gutes Fräulein ...«
    Diesmal fing Louise an zu lachen, so drollig kam ihr diese fünfjährige Spottgeburt vor, die schon abgefeimt war wie Vater und Mutter. Pauline, die ernst geblieben war, holte ihr Portemonnaie hervor und entnahm ihm ein neues Fünffrancsstück.
    »Hör zu«, sagte sie, »das gebe ich dir jeden Sonnabend, wenn ich erfahre, daß du dich die ganze Woche lang nicht auf den Straßen herumgetrieben hast.«
    »Nehmen Sie die Eßbestecke fort!« rief Abbé Horteur abermals. »Sie wird Ihnen gleich was stehlen.«
    Pauline, ohne darauf einzugehen, verabschiedete aber die Kinder, die mit »Danke schön!« und »Vergelt's Ihnen Gott!« in ihren Latschen davonschlurrten. Währenddessen schalt Frau Chanteau, die eben in Louises Zimmer kurz nach dem Rechten gesehen hatte, ganz leise mit Véronique. Das sei ja nicht zum Aushalten, auch das Hausmädchen bringe jetzt Bettlerinnen herein! Als ob Pauline nicht schon genug ins Haus schleppe! Lauter Geschmeiß, das sie auffresse und sich über sie lustig mache! Gewiß, das Geld gehöre ihr, sie könne es gern nach ihrem Belieben vergeuden; aber es sei doch wahrhaftig nachgerade unmoralisch, das Laster so zu unterstützen. Frau Chanteau hatte gehört, wie das junge Mädchen der kleinen Tourmal für jeden Sonnabend hundert Sous versprach. Wieder zwanzig Francs im Monat! Das Vermögen eines Satrapen würde hier nicht ausreichen.
    »Du weißt, daß ich diese Diebin hier nicht wiedersehen will«, sagte sie zu Pauline. »Wenn du auch jetzt über dem Vermögen verfügen kannst, darf ich doch nicht zulassen, daß du dich so töricht zugrunde richtest. Ich habe eine moralische Verantwortung ... Jawohl, zugrunde richtest, meine Liebe, und zwar schneller, als du glaubst!«
    Véronique, die, wütend über Frau Chanteaus Verweis, in ihre Küche zurückgekehrt war, erschien wieder und rief rücksichtslos:
    »Der Fleischer ist da ... Er will sein Geld, sechsundvierzig Francs zehn Centimes.«
    Frau Chanteau war so bestürzt, daß ihr die Worte fehlten. Sie wühlte in ihren Taschen, äußerte mit einer Gebärde ihre Verwunderung. Dann fragte sie mit leiser Stimme:
    »Sag mal, Pauline, hast du genügend bei dir? ... Ich habe kein Kleingeld, ich müßte erst nach oben gehen. Wir rechnen dann ab.«
    Pauline folgte dem Hausmädchen, um den Fleischer zu bezahlen. Seit sie ihr Geld in ihrer Kommode hatte, begann die gleiche Komödie immer von neuem, sooft eine Rechnung vorgelegt wurde. So vollzog sich eine schon geregelte Ausplünderung durch fortgesetzt erbetene kleine Summen, was ganz natürlich zu sein schien. Die Tante hatte nicht einmal mehr die Mühe, selber von dem Haufen nehmen zu müssen: Sie verlangte, sie ließ das junge Mädchen sich mit seinen eigenen Händen um seinen Besitz bringen. Zuerst hatte man noch gezählt und ihr mal zehn, mal fünfzehn Francs zurückgegeben; dann waren die Aufrechnungen so durcheinandergeraten, daß man nur noch davon sprach, sie später, zum Zeitpunkt der Heirat, zu begleichen, was Pauline keineswegs daran hinderte, pünktlich am Ersten eines jeden Monats ihr Kostgeld zu zahlen, das man auf neunzig Francs heraufgesetzt hatte.
    »Wieder Ihr Geld, das dabei draufgeht!« brummte Véronique im Flur. »Ich hätte Frau Chanteau ruhig ihr Geld holen lassen! Es kann doch wohl nicht erlaubt

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