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Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ab.
    »Mein Kind«, sagte er und nahm Pauline beiseite. »Ich will nicht länger Ihr Mitwisser sein. Fragen Sie mich nicht mehr um Rat, ruinieren Sie sich, wie Ihr Herz es Ihnen eingibt ... Sie wissen sehr wohl, daß ich Ihren Bitten niemals widerstehen werde; und wirklich, ich leide nachher darunter, ich habe ein ganz schlechtes Gewissen ... Ich möchte das, was ich mißbillige, lieber nicht wissen.«
    Sie blickte ihn sehr bewegt an. Dann sagte sie nach einem Schweigen:
    »Danke, mein guter Doktor ... Aber ist das nicht das Vernünftigste? Was bedeutet das schon, wenn ich nur glücklich bin!«
    Er hatte ihre Hände gefaßt und drückte sie väterlich in trauriger Ergriffenheit.
    »Ja, wenn Sie glücklich sind ... Nun, auch das Unglück wird zuweilen recht teuer erkauft.«
    Natürlich hatte Lazare in der Hitze dieser Schlacht, die er dem Meer lieferte, die Musik aufgegeben. Feiner Staub legte sich auf das Klavier, die Partitur seiner großen Sinfonie war dank Pauline, die die einzelnen Blätter sogar unter den Möbeln aufgelesen hatte, wieder hinten in ein Schubfach zurückgekehrt. Im übrigen befriedigten ihn manche Stellen nicht mehr; so würde die himmlische Süße der endgültigen Vernichtung, die auf alltägliche Weise durch eine Walzerbewegung wiedergegeben war, vielleicht besser durch ein sehr verlangsamtes Marschtempo zum Ausdruck gebracht werden. Eines Abends hatte er erklärt, er würde alles von vorn beginnen, wenn er die Zeit dazu hätte. Und sein aufflammendes Verlangen, sein Unbehagen bei der ständigen Berührung mit dem jungen Mädchen schien zugleich mit dem Fieber seines Genies verflogen. Es war ein Meisterwerk, das er auf eine bessere Zeit vertagte, eine gleichfalls hinausgezögerte große Leidenschaft, deren Stunde er anscheinend zurückstellen oder vorstellen konnte. Er behandelte seine Cousine wieder als alte Freundin, als Ehefrau, die sich an dem Tage, da er die Arme ausbreitete, hingeben würde. Seit April lebten sie nicht mehr in so enger Eingeschlossenheit, der Wind trug die Glut ihrer Wangen davon. Das große Zimmer war leer, beide durchstreiften den felsigen Strand vor Bonneville und nahmen die Stellen in Augenschein, an denen das Pfahlwerk und die Schutzbuhnen errichtet werden sollten. Oft kehrten sie mit den Füßen im kühlen Wasser müde und rein zurück wie in den fernen Tagen der Kindheit. Als Pauline, um Lazare zu necken, den großartigen Todesmarsch spielte, rief er:
    »Hör doch auf! ... Was sollen diese Dummheiten.«
    Am Abend nach dem Besuch des Zimmermanns wurde Chanteau von einem Gichtanfall gepackt. Jetzt kehrten die Anfälle fast jeden Monat wieder; das Salizylpräparat schien, nachdem es sie zunächst gemildert hatte, ihre Heftigkeit zu verdoppeln. Und Pauline kam vierzehn Tage lang nicht vom Bett ihres Onkels weg. Lazare, der seine Untersuchungen am Strande fortsetzte, begann jetzt Louise mitzunehmen, um sie von dem Kranken fernzuhalten, dessen Schreie sie erschreckten. Da sie das Gästezimmer gerade über Chanteaus Zimmer bewohnte, mußte sie sich, um schlafen zu können, die Ohren zustopfen und den Kopf im Kissen vergraben. Draußen lächelte sie wieder, war entzückt über den Spaziergang und vergaß den armen heulenden Mann.
    Das waren vierzehn bezaubernde Tage. Der junge Mann hatte seine neue Begleiterin zunächst mit Verwunderung betrachtet. Sie war ganz anders als Pauline, schrie auf, wenn eine Krabbe ihr Stiefelchen streifte, fürchtete sich vor dem so großen Wasser, so daß sie sich schon ertrunken glaubte, wenn sie über eine Pfütze springen mußte. Die Kiesel verletzten ihre kleinen Füße, sie trennte sich nie von ihrem Sonnenschirm, trug Handschuhe bis zu den Ellbogen, in der ständigen Angst, ein Eckchen ihrer zarten Haut der Sonne auszusetzen. Nach dem ersten Erstaunen hatte er sich dann verlocken lassen durch diese ängstliche Geziertheit, diese Schwäche, die stets bereit war, ihn um Schutz zu bitten. Diese hier roch nicht nur nach der frischen Luft, sie berauschte ihn durch ihren lauen Heliotropduft; und es war schließlich kein Junge mehr, der an seiner Seite galoppierte, es war ein Weib, das ihm das Blut in den Adern pulsen ließ, wenn er bei einem Windstoß flüchtig ihre Strümpfe erblickte. Sie war jedoch weniger schön als die andere, war älter und schon verblaßt; aber es ging von ihr ein einschmeichelnder Zauber aus, ihre kleinen, geschmeidigen Glieder hatten hingebungsvolle Bewegungen, ihre ganze kokette Person schmolz hin in

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