Die Freude am Leben
damit begnügte, mit einem Wort auf die seltenen Fragen seiner Frau zu antworten. Während der vierzehn Tage, da Lazare Pauline in Gefahr geglaubt hatte, war er nicht einmal zum Essen heruntergekommen; jetzt aß er unten zu Abend, ging aber schon beim Nachtisch wieder zu der Genesenden hinauf; und kaum war er auf der Treppe, nahm Frau Chanteau ihre Klagen vom Abend zuvor wieder auf.
Zunächst gab sie sich als zärtlich besorgte Mutter.
»Der arme Junge, er macht sich noch kaputt ... Es ist wahrhaftig nicht vernünftig, seine Gesundheit so aufs Spiel zu setzen. Seit drei Wochen schläft er nicht mehr ... Er ist seit gestern noch blasser geworden.«
Und sie bedauerte auch Pauline: Die liebe Kleine leide sehr, man könne nicht eine Minute oben zubringen, ohne daß es einem das Herz umdrehe. Doch nach und nach ging sie dazu über, von der Unordnung zu sprechen, die die Kranke im Hause verursachte: Alles sei durcheinandergeraten, unmöglich, etwas Warmes zu essen, man wisse schon nicht mehr, ob man überhaupt noch lebe. Hier unterbrach sie sich, um ihren Mann zu fragen:
»Hat Véronique wenigstens an deinen Eibischsirup gedacht?«
»Ja, ja«, erwiderte er über seine Zeitung hinweg.
Da senkte sie die Stimme und wandte sich an Louise.
»Es ist komisch, diese unglückselige Pauline hat uns niemals Glück gebracht. Und dabei glauben die Leute, sie sei unser guter Engel! Geh doch, ich weiß, was für Klatschgeschichten über uns in Umlauf sind ... In Caen, nicht wahr, Louisette, erzählt man, sie habe uns reich gemacht. Ach ja, reich gemacht! Du kannst offen reden, ich pfeife auf die bösen Zungen!«
»Mein Gott! Man spricht über euch wie über alle Welt«, murmelte das junge Mädchen. »Im vergangenen Monat erst habe ich die Frau eines Notars zurechtgewiesen, die davon sprach, ohne die geringste Ahnung zu haben ... Ihr werdet die Leute nicht daran hindern, zu reden.«
Von diesem Augenblick an hielt Frau Chanteau sich nicht mehr zurück. Ja, sie waren die Opfer ihres guten Herzens. Hatten sie etwa vor Paulines Ankunft jemand gebraucht, um zu leben? Wo wäre sie jetzt, in welchem Winkel von Paris, wenn sie nicht eingewilligt hätten, sie aufzunehmen? Und es war wahrhaftig gut, daß man auf ihr Geld zu sprechen gekommen war: ein Geld, durch das sie persönlich nur zu leiden gehabt hatten; ein Geld, das den Ruin ins Haus gebracht hatte. Denn schließlich sprachen die Tatsachen für sich: Niemals hätte ihr Sohn sich auf diese blödsinnige Nutzung der Algen eingelassen, niemals hätte er seine Zeit damit verloren, das Meer daran hindern zu wollen, Bonneville zu zerschmettern, ohne diese unglückselige Pauline, die ihm den Kopf verdrehte. Um so schlimmer für sie, wenn sie ein paar Sous dabei eingebüßt hatte! Er, der arme Junge, hatte dabei einen Teil seiner Gesundheit und seiner Zukunft eingebüßt! Frau Chanteau war unerschöpflich in ihrem Groll gegen die hundertfünfzigtausend Francs, von denen ihr Sekretär noch immer fieberte. Diese verschlungenen großen Summen, die außerdem täglich entnommenen und das Loch vergrößernden kleinen Summen brachten sie so außer sich, als spürte sie da den üblen Gärungsstoff, in dem sich ihre Rechtschaffenheit zersetzt hatte. Heute war die Zersetzung vollkommen, sie verabscheute Pauline um all des Geldes willen, das sie ihr schuldete.
»Was soll man einem solchen Starrkopf sagen?« fuhr sie fort. »Sie ist entsetzlich geizig im Grunde und dabei die Verschwendung in Person. Sie wirft zwölftausend Francs ins Meer für diese Fischer von Bonneville, die sich über uns lustig machen, sie füttert die verlausten Gören des Dorfes, und ich zittere, Ehrenwort, wenn ich sie um vierzig Sous bitten muß. Mach dir einen Vers daraus ... Sie hat ein Herz aus Stein und tut dabei so, als gäbe sie alles den anderen.«
Oft kam Véronique ins Zimmer, trug das Geschirr herein oder brachte den Tee; und sie machte sich zu schaffen, sie hörte zu, erlaubte sich sogar manchmal, dazwischenzureden.
»Mademoiselle Pauline, ein Herz aus Stein! Oh, wie können Sie so etwas sagen!«
Mit einem strengen Blick gebot Frau Chanteau ihr Schweigen. Dann erging sie sich, die Ellbogen auf dem Tisch, in umständliche Berechnungen, als spräche sie zu sich selbst.
»Ich brauche ihr Geld nicht mehr aufzubewahren, Gott sei Dank! Aber ich würde zu gerne wissen, was ihr davon bleibt. Keine siebzigtausend Francs, möchte ich schwören ... Na, rechnen wir doch mal: dreitausend schon für den Versuch mit den Balken
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