Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Freude am Leben

Die Freude am Leben

Titel: Die Freude am Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
leisen und eintönigen Stimme Sätze herunter.
    »Und wir wollten uns um sieben Uhr auf den Weg machen! Ein Glück, daß Louise nicht früh genug aufgewacht ist ... Und was heute morgen alles zusammentrifft! Man könnte meinen, das sei Absicht. Der Krämer von Arromanches ist mit seiner Rechnung gekommen, ich habe ihn bezahlen müssen. Jetzt ist der Bäcker unten ... Wieder für vierzig Francs Brot im Monat. Ich begreife nicht, wo das bleibt ...«
    Lazare hörte nicht zu, völlig in Anspruch genommen von der Furcht, den Fieberschauer wieder auftreten zu sehen. Doch das dumpfe Geräusch dieses Wortschwalles reizte ihn. Er versuchte, seine Mutter hinauszuschicken.
    »Du kannst Véronique mal zwei Handtücher geben, damit sie sie mir heraufbringt.«
    »Natürlich muß man ihn bezahlen, diesen Bäcker«, fuhr sie fort, als hätte sie nicht gehört. »Er hat mit mir gesprochen, man kann ihm also nicht erzählen, ich sei ausgegangen ... Ach, ich habe genug von diesem Haus! Das wird mir alles zuviel, ich werde schließlich noch alles stehen und liegenlassen ... Wenn es Pauline nur nicht so schlecht ginge, würde sie uns die neunzig Francs Kostgeld vorschießen. Wir haben den Zwanzigsten, das wären ohnehin nur zehn Tage ... Die arme Kleine scheint recht schwach ...«
    Mit einer jähen Bewegung wandte Lazare sich um.
    »Was? Was willst du?«
    »Du weißt nicht, wohin sie ihr Geld legt?«
    »Nein.«
    »Es muß in ihrer Kommode sein ... Wenn du einmal nachschautest.«
    Er lehnte mit einer empörten Gebärde ab. Seine Hände zitterten.
    »Ich bitte dich, Mama ... Um Himmels willen, laß mich.«
    Diese wenigen Sätze waren hastig im Hintergrund des Zimmers geflüstert worden. Ein peinliches Schweigen entstand, als sich eine leise Stimme vom Bett vernehmen ließ.
    »Lazare, nimm den Schlüssel unter meinem Kopfkissen, gib der Tante, was sie haben will.«
    Beide waren betroffen. Er erhob Einspruch, wollte nicht in der Kommode herumwühlen. Aber er mußte nachgeben, um Pauline nicht zu quälen. Als er seiner Mutter einen Hundertfrancsschein eingehändigt hatte und den Schlüssel wieder unter das Kopfkissen schieben wollte, fand er die Kranke einem erneuten Fieberschauer preisgegeben, der sie schüttelte wie einen jungen, fast zerbrechenden Baum. Und zwei schwere Tränen rannen aus ihren armen geschlossenen Augen über ihre Wangen.
    Doktor Cazenove erschien erst zu seiner gewohnten Stunde. Er hatte den kleinen Cuche, der sich zweifellos in den Straßengräben herumtrieb, nicht einmal gesehen. Sowie er Lazare angehört und einen Blick auf Pauline geworfen hatte, rief er:
    »Sie ist gerettet!«
    Dieser Brechreiz, diese schrecklichen Fieberschauer waren einfach die Anzeichen dafür, daß der Abszeß endlich aufging. Man hatte nicht mehr das Ersticken zu fürchten, nunmehr würde das Übel von selbst zurückgehen. Die Freude war groß, Lazare begleitete den Doktor hinaus, und da Martin, der mit seinem Holzbein im Dienste des Doktors verbliebene ehemalige Matrose, in der Küche ein Glas Wein trank, wollten alle anstoßen. Frau Chanteau und Louise nahmen Nußbranntwein.
    »Ich bin niemals ernstlich besorgt gewesen«, sagte Frau Chanteau. »Ich fühlte, daß es nichts weiter auf sich hatte.«
    »Immerhin ist es dem lieben Kind recht übel ergangen!« entgegnete Véronique. »Wahrhaftig! Wenn man mir hundert Sous schenkte, würde ich mich nicht so freuen.«
    In diesem Augenblick trat Abbé Horteur ein. Er kam sich erkundigen, und er nahm ein Gläschen Likör an, um es den anderen gleichzutun. Jeden Tag hatte er sich so als guter Nachbar eingestellt; denn da ihm Lazare gleich beim ersten Besuch zu verstehen gegeben hatte, daß er ihn nicht zu der Kranken lassen würde, aus Furcht, sie zu erschrecken, hatte der Priester ruhig erwidert, daß er das verstehe. Er begnügte sich damit, seine Messen für das arme Fräulein zu lesen. Chanteau lobte ihn, während er mit ihm anstieß, ob seiner Duldsamkeit.
    »Sie sehen ja, daß sie auch ohne Gebet davongekommen ist.«
    »Jeder wird auf seine Weise selig«, erklärte der Pfarrer in belehrendem Ton, während er sein Glas vollends leerte.
    Als der Doktor fort war, wollte Louise hinaufgehen und Pauline umarmen. Diese litt noch entsetzlich, aber es schien, als zähle das Leiden nicht mehr. Lazare rief ihr fröhlich zu, sie solle Mut fassen; und er hörte auf zu heucheln, er übertrieb sogar die überstandene Gefahr, indem er ihr erzählte, er habe sie dreimal tot in den Armen zu halten geglaubt. Sie

Weitere Kostenlose Bücher