Die Freude am Leben
und mindestens zweihundert Francs Almosen jeden Monat und die neunzig Francs für ihr Kostgeld hier. Das geht schnell ... Willst du wetten, Louisette, daß sie sich zugrunde richtet? Ja, du wirst sehen, sie wird noch mal am Hungertuch nagen ... Und wenn sie sich zugrunde richtet, wer wird sie dann noch haben wollen, was wird sie anfangen, um zu leben?«
Da konnte Véronique nicht mehr an sich halten.
»Ich hoffe doch, daß Madame sie nicht vor die Tür setzen würde.«
»He! Was?« fuhr Frau Chanteau wütend fort. »Was kommt die uns da vorsingen? Es ist überhaupt nicht die Rede davon, jemand vor die Tür zu setzen. Niemals habe ich jemand vor die Tür gesetzt ... Ich sage nur, wenn man ein Vermögen geerbt hat, scheint mir nichts törichter, als es zu verschleudern und den anderen wieder zur Last zu fallen ... Du geh in deine Küche, Véronique, und kümmere dich um deinen Kram!«
Das Hausmädchen ging fort und brummte dumpfe Protestäußerungen vor sich hin. Schweigen entstand, während Louise den Tee einschenkte. Man hörte nur noch das leise Rascheln der Zeitung, die Chanteau bis zu den Anzeigen auslas. Zuweilen wechselte er ein paar Worte mit dem jungen Mädchen.
»Nun, du kannst noch ein Stück Zucker dazutun ... Hast du endlich einen Brief von deinem Vater bekommen?«
»Ach so, nein, niemals«, erwiderte sie lachend. »Aber wissen Sie, wenn ich Ihnen lästig bin, kann ich ja abreisen. Sie sind schon genug belastet mit der kranken Pauline ... Ich wollte fort, aber Sie haben mich zurückgehalten.«
Er wollte sie unterbrechen.
»Davon spricht doch niemand. Es ist zu liebenswürdig von dir, uns Gesellschaft zu leisten, bis das arme Kind wieder herunterkommen kann.«
»Ich ziehe mich bis zur Ankunft meines Vaters nach Arromanches zurück, wenn Sie mich nicht mehr haben wollen«, fuhr sie, scheinbar ohne ihn zu verstehen, fort, um ihn zu necken. »Meine Tante Léonie hat ein Sommerhäuschen gemietet; und man findet Gesellschaft dort, ein Strand ist da, an dem man wenigstens baden kann ... Nur, sie ist so langweilig, meine Tante Léonie!«
Chanteau lachte schließlich über die Schelmereien dieser großen Schmeichelkatze. Indessen, ohne daß er es seiner Frau gegenüber einzugestehen wagte, war sein ganzes Herz Pauline zugetan, die ihn mit so sanfter Hand pflegte. Und er vertiefte sich wieder in seine Zeitung, sobald Frau Chanteau, die ganz in ihre Überlegungen versunken war, plötzlich wie aus einem Traum daraus erwachte.
»Siehst du, etwas kann ich ihr nicht verzeihen, nämlich daß sie mir meinen Sohn genommen hat ... Er bleibt kaum eine Viertelstunde bei Tische sitzen. Man spricht sich immer nur zwischen Tür und Angel.«
»Das wird aufhören«, gab Louise zu bedenken. »Jemand muß doch bei ihr wachen.«
Die Mutter schüttelte den Kopf. Sie kniff die Lippen zusammen. Die Worte, die sie anscheinend zurückhalten wollte, brachen trotzdem hervor.
»Möglich! Aber es ist merkwürdig, ein junger Mann immer mit einem kranken Mädchen zusammen ... Oh, ich habe kein Blatt vor den Mund genommen, ich habe gesagt, was ich darüber denke; mir macht es nichts aus, wenn es Ärger gibt!«
Und angesichts der verlegenen Blicke Louises fügte sie hinzu:
»Im übrigen kann es kaum gut sein, die Luft dieses Zimmers zu atmen. Sie könnte ihn sehr leicht mit ihrem Halsleiden anstecken ... Diese jungen Mädchen, die so mollig sind, haben manchmal allerlei Gebrechen im Blut. Soll ich es dir sagen? Nun denn, ich halte sie nicht für gesund.«
Louise fuhr sanft fort, ihre Freundin zu verteidigen. Sie fand sie so nett! Und es war dies ihr einziges Argument, das sie den Anschuldigungen, Pauline habe ein hartes Herz und eine schlechte Gesundheit, entgegenhielt. Ein Bedürfnis nach Wohlwollen, nach glücklichem Gleichgewicht ließ sie die allzu grobe Gehässigkeit Frau Chanteaus bekämpfen, obgleich sie jeden Tag lächelnd zuhörte, wie diese ihren Haß vom Abend zuvor noch überbot. Sie erhob laut Einspruch, erregt durch die Heftigkeit der Worte, ganz rosig von der heimlichen Freude, die sie genoß, sich bevorzugt und jetzt als Herrin des Hauses zu fühlen. Sie war wie Minouche, sie rieb sich zärtlich an den anderen, ohne Bosheit, solange man ihr Vergnügen nicht störte.
Schließlich lief an jedem Abend die Unterhaltung nach immer den gleichen Wiederholungen auf diesen langsam gesprochenen Anfang eines Satzes hinaus:
»Nein, Louisette, die Frau, die mein Sohn brauchte ...«
Hiermit hob Frau Chanteau immer an, erging
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