Die Friesenrose
lebe,
Tee trinken werde, weiß ich gewiss.
Gotthold Ephraim Lessing, 1780
*
Nachwort
Es gibt Dinge, für die riskieren Menschen ihr Leben. In Ostfriesland gehört der Tee dazu!
Es war leicht, dies herauszufinden. Was aber ist das Geheimnis der getrockneten Blätter, die mit kochendem Wasser übergossen werden? Was bringt die Menschen dazu, sogar gegen einen Napoleon aufzubegehren, wenn ihnen der Tee verweigert wird? Ist es sein Duft, sein Geschmack, oder geht die Faszination tiefer?
Diese Frage war es, die mich dazu bewogen hat, einen Roman über den Tee zu schreiben!
Meine Suche nach seinem Geheimnis begann dort, wo das Getränk seinen Ursprung hat – in China. Von Kanton aus spannte ich dann einen Bogen bis nach Ostfriesland, auf das Napoleon im Jahre 1810 seine Hand legte. Die Menschen beugten sich seiner Herrschaft, doch als mit der Kontinentalsperre auch der Teehandel verboten wurde, begehrten sie auf. Die seekriegsmächtigen Engländer trotzten dem „kleinen Kaiser“, und die Ostfriesen paktierten mit ihnen – zumindest, wenn es um den Tee ging. Unter Einsatz ihres Lebens schmuggelten Blockadebrecher das begehrte Gut von Helgoland bis in die entferntesten Winkel Ostfrieslands.
Was trieb sie dazu? Eine Frage, die mir nicht aus dem Sinn ging, war dies doch bei Weitem nicht der einzige Kampf, den die Ostfriesen um den Tee geführt haben.
Einen ersten Versuch, das Teetrinken zu unterbinden, hatte schon der „Alte Fritz“ unternommen. Über zehn Jahre dauerte der so genannte „Teekrieg“, bis die ostfriesischen Landstände 1779 ein überzeugendes Plädoyer verfassten. Sie schrieben:
„Der Gebrauch des Thees ist hierzulande so allgemein und so tief eingewurzelt, dass die Natur des Menschen schon durch eine schöpferische Kraft müsste umgekehrt werden, wenn sie diesem Getränk auf einmal gute Nacht sagen sollte!“
Warum lassen sich die Ostfriesen den Tee nicht verbieten? Warum können sie das Teetrinken nicht einmal einschränken?
Während des Zweiten Weltkrieges ließen die Behörden des Dritten Reiches Bezugsscheine für Tee verteilen. Den Einzelhändlern wurde der Verkauf von unrationiertem Schwarztee verboten – doch Not macht erfinderisch! Aus niederländischen Labors kamen sogenannte Teetabletten auf den Markt. Sie hatten jedoch nur dem Namen nach etwas mit Tee gemeinsam und überzeugten die Ostfriesen nicht. Fehl schlugen auch Versuche, aus Salz und Aromastoffen einen Teetrunk herzustellen. Am 06.09.1944, nach einem Bombenangriff auf Emden, spitzte sich die Lage zu. Die Behörden erkannten, dass echter Tee für die meisten Ostfriesen lebensnotwendig war, und lockerten endlich die Bestimmungen.
In den Nachkriegsjahren versorgten sich die Ostfriesen heimlich mit Tee. Schwarzhändler verteilten über Mittelsmänner die Ware zu teilweise horrenden Preisen. Heerscharen von Hamsterfahrern rollten in überfüllten Eisenbahnzügen Richtung Ostfriesland. Mit im Gepäck hatten sie Tee, denn es hatte sich herumgesprochen, dass die Ostfriesen all ihr Hab und Gut dafür hergaben.
Sehnsüchtig erwartet wurden auch die Teewiefkes , Bergarbeiterfrauen,deren Männer für besonders schwere Arbeit unter Tage Sonderrationen an Tee erhielten.
Was also ist es, das die Ostfriesen solch eine große Leidenschaft für das Getränk hegen lässt?
Lange suchte ich vergeblich nach dem Grund. Doch dann, während ich mich immer mehr im Fortgang meiner Geschichte verlor, kam ich langsam dem Geheimnis des Tees auf die Spur. Schon die Chinesen hatten es erkannt:
Tee ist nicht nur ein Getränk, Tee ist eine Lebenseinstellung!
Das Teetrinken hat etwas mit Unbeugsamkeit und mit Freiheit zu tun. Der Freiheit des Geistes! Die Kunst des Innehaltens, des Sichzurückziehens vom hektischen Alltagsbetrieb beginnt mit einer Tasse Tee. Das Teetrinken schafft Nischen, Ruheinseln, um der Welt den Rücken zu kehren, um ganz bewusst allen äußeren Einflüssen zu entfliehen. Um sich für eine Weile von nichts und niemandem beherrschen zu lassen und ganz bei sich zu sein.
Tee ist eine Arznei für die Seele. Wenn die Welt zum Schweigen kommt, wenn das Hasten und Eilen ausgesetzt ist, dann kann man neue Kraft schöpfen.
Für uns unbeugsame, freiheitsliebende Ostfriesen gibt es wohl kein passenderes Getränk! Standen unsere Vorfahren ihm anfänglich, wie allem Fremdartigen und Unbekannten, mit einer angeborenen Scheu gegenüber, machten sie das Teetrinken nach anfänglichem, rasch überwundenem Misstrauen doch schnell zu ihrer
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