Die Friesenrose
förmlich, ihre bohrenden Blicke im Rücken zu spüren. Doch dann nahmen Cirks Worte sie gefangen.
„Inken“, sagte er mit weicher Stimme, „so habe ich mir unserenAbschied weiß Gott nicht vorgestellt.“ Ein sanftes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Mach nicht so ein entsetztes Gesicht. Es ist alles ganz anders, als es scheint, und es ist einfach lächerlich zu glauben, dass ich ... “
Lucia stieß einen Schrei aus und sank zu Boden. Cirk eilte mit einem leisen Fluch zu ihr. Gemeinsam mit Inken hob er die junge Frau hoch und legte sie auf Tjaldas Sofa, wo Lucia augenblicklich wieder zu sich kam und Cirks Hände ergriff. „Es ist nur wegen des Kindes, Cirk.“ Sie legte eine Hand auf ihren leicht gewölbten Bauch. „Ich habe immer wieder Schwächeanfälle, aber das geht bald vorbei. Und dann werden wir eine richtige Familie sein, nicht wahr?“
Mit einem Ruck erhob sich Inken, die neben Lucia gekniet hatte. Heiße und kalte Schauer durchfuhren ihren Körper. Ein Kind? Diese Frau bekam ein Kind von Cirk! Taumelnd bewegte sie sich in Richtung Küche. Nur fort von hier. Cirk rief sie zurück, doch Inken, die einen Augenblick lang glaubte, tot zu sein oder bald sterben zu müssen, hörte ihn nicht. Spitze Nadeln durchbohrten ihren Kopf. Nicht einmal die Nachricht von der Gefangenschaft ihres Vaters hatte sie derart getroffen.
Cirk lief ihr nach. Sein Blick war bittend. „Inken, das Kind ... es ist alles anders, als du glaubst. Ich habe dir doch erzählt, dass sich Lucia Männern gegenüber zu leichtfertig verhält. Das mit dem Kind hätte nicht sein müssen. Wenn sie nur endlich vernünftig werden und sich nicht allem, was Hosen trägt, an den Hals werfen würde. Es ist jetzt nicht die Zeit für weitreichende Erklärungen. Du musst mir einfach vertrauen! Ich werde bald zurückkehren, und dann wird sich alles finden. Dann wirst du verstehen. Ich möchte dir zum Abschied nur noch eines sagen, Inken: Die Liebe zu dir istunaufgefordert und unerwartet in mein Leben getreten. Du hast mich wie ein plötzlicher Sturm völlig durcheinanderund aus dem Gleichgewicht gebracht. Alles, was mir bislang wichtig war, ist unwichtig geworden, alles, was ich einmal war, bin ich nicht mehr. Ich möchte dich festhalten, dich für immer bei mir haben. Geh nicht fort aus meinem Leben. Warte auf mich und vertrau mir, so wie du es schon einmal getan hast. Willst du mir das versprechen?“ Inken antwortete nicht, aber Cirk wertete ihr Schweigen als Zustimmung. „Bitte, küss mich zum Abschied.“
Doch Inken wandte sich von ihm ab.
„Wenn es wegen Lucia ist – sie ist noch ein Kind. Ein Kind, das ein Spielzeug brauchte und nun an der Realität ihres Spiels zu zerbrechen droht. Doch dies hat nichts mit uns zu tun, gar nichts, glaube mir. Lucia lebt in einer anderen Welt. Sie träumt von mir, wie ein Kind vom edlen Prinzen träumt. Sie hat mich gelockt. Sie wollte mich fangen, mit diesem Kind den Beschützerinstinkt in mir wecken. Doch ich möchte dich an meiner Seite und niemand anders. Es gibt nur uns beide, Inken. Ich liebe dich.“
Danach lastete tiefes Schweigen zwischen ihnen. Inken konnte nicht sprechen, sie konnte sich nicht einmal bewegen. Dunkelheit umgab sie, und in ihrem Kopf setzte sich der Gedanke fest, dass alles nur Lüge gewesen war. Sie bedeutete ihm nichts! Schon damals im Moor hatte Inken an der Ernsthaftigkeit seiner Gefühle gezweifelt. Zu sehr haftete ihm noch das Bild des Luftikus aus ihrer ersten Begegnung an. Und nun stellte sich heraus, dass ihre Zweifel berechtigt gewesen waren. Er hatte sie getäuscht. Wie sehr mochte es ihn amüsiert haben, dass sie auf der Insel so bereitwillig in seine Arme gesunken war. Warum hatte sie dem, was sie trennte, nur nicht eindringlicher nachgespürt? Inken fühlte einen Schmerz, deralles übertraf, was sie bislang durchlitten hatte. Unter Aufwendung all ihrer Kräfte riss sie sich von Cirks Händen los und rannte auf ihr Zimmer, wo sie sich auf das Bett warf und ihren Kopf im Kissen vergrub. Es kam ihr alles so unwirklich vor, als befände sie sich mitten in einem Albtraum. Vor zwei Stunden noch hatten sie von einer gemeinsamen Zukunft gesprochen, die es plötzlich nicht mehr gab, die buchstäblich hinweggefegt worden war und sie mit einem Scherbenhaufen verlorener Hoffnungen zurückgelassen hatte.
Wenn doch nur eine Woge aus Zorn die Trauer aus ihrem Herzen vertrieben hätte. Alles war besser als dieser unendliche Schmerz und die Enttäuschung, die sie erfüllte.
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