Die Friesenrose
Wütend warf Tjalda den Holzlöffel auf den Tisch. „Und kaum glaubt man, alle Ratten hätten das sinkende Schiff verlassen, da verschanzen sich auch schon die Letzten von ihnen in der Festung. Sie sitzen dort wie Mäuse in der Falle, und doch können unsere Männer nicht an sie heran. Wenn genug Nahrungsmittel und Wasser in der Festung sind, kann die Belagerung noch Monate dauern. Ausräuchern müsste man die ganze Meute.“
Nach Tjaldas Ausbruch herrschte für einen Augenblick Schweigen, bis ein wildes Hämmern an der Tür die Stille unterbrach.
„Wer kann das sein?“ Tjalda wischte sich die Hände ab und war mit zwei Schritten an der Tür, die sie nur zögernd öffnete.
Vor ihr stand eine junge Frau, die kaum größer war als ein Kind, aber eine ausgesprochen weibliche Figur besaß. Glattes dunkles Haar fiel ihr über die Schultern, doch das Auffälligste an ihr waren die großen Augen in ihrem schmalen Gesicht.
Das Kleid aus hauchdünner dunkelroter Seide bildete einen reizvollen Kontrast zu ihrem blauschwarzen Haar. Der luftige Stoff des Kleides bedeckte die Arme, doch ein tiefer Ausschnitt lenkte die Aufmerksamkeit des Betrachters auf ihre wohl geformten Brüste, die von der hohen Taille des Kleides noch zusätzlich unterstrichen wurden.
Die Fremde wirkte in Tjaldas Haus wie ein Paradiesvogel, der sich verirrt hatte. Jedenfalls stand ihre Aufmachung in strengem Gegensatz zu Inkens einfachem blauem Kleid und Tjaldas dunkler Hose und Bluse.
„Kann ich Cirk Hogestraat hier finden?“ Die tiefe nasale Stimme wollte nicht so recht zu der zierlichen Gestalt passen.
Tjalda nickte überrascht und trat einen Schritt zur Seite. „Er wird allerdings nicht viel Zeit für Sie haben.“
„Ich habe wichtige Nachrichten für ihn. Sie müssen ihn sofort holen.“ Die Stimme der Frau hatte einen arroganten, unnachgiebigen Klang. An ihrer Aussprache glaubte Inken die Engländerin herauszuhören.
Tjalda stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete ihr Gegenüber abschätzig. „Ich muss gar nichts. Vor allen Dingen möchte ich zunächst einmal wissen, mit wem ich es überhaupt zu tun habe.“
Die Frau verzog den Mund, als fände sie es völlig überflüssig, sich Tjalda vorzustellen. „Ich bin Lucia Devon, die Schwester von Thomas Devon“, anwortete sie, als sei damit nun alles geklärt. Doch als Tjalda daraufhin nur die Stirn runzelte, stampfte die Frau mit dem Fuß auf. „Also, wo ist Cirk. Ich habe keine Zeit, mich mit Dienstmägden und Gesinde abzugeben. Ich will jetzt zu ihm, und zwar sofort.“
Die beiden Frauen maßen sich wie Feinde. Was sie von der Frau hielt, war in Tjaldas Augen deutlich zu lesen, und Inken wusste, dass ihre Freundin mit untrüglicher Sicherheit das richtige Urteil über Lucia Devon gefällt hatte. In ihrem Kopf drehten sich die Gedanken. Cirk hatte ihr von der Engländerin erzählt.
„Was ist denn hier los?“ Die Frauen wandten sich um. „Ich habe Stimmen gehört.“ Cirk stand in der Tür. Sein Haar war noch feucht. Er trug dunkle Hosen und ein frisches weißes Leinenhemd. Seine Augen hatten als Erstes Inken gesucht, doch nun ruhten sie auf der jungen Frau.
„Lucia, wie kommst du denn hierher?“ Ungläubigkeit lag in seiner Stimme.
Mit einem Aufschrei warf sich die Fremde in Cirks Arme. Der harte, unnachgiebige Ausdruck auf ihrem Gesicht war von einem Moment zum anderen verschwunden. Als ob Cirks Erscheinen einen anderen Menschen aus ihr gemacht hätte. Sachte versuchte Cirk die junge Frau von sich zu schieben, doch diese zog seinen Kopf zu sich herunter und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.
„Endlich, endlich bin ich wieder bei dir. Ich habe von dir geträumt Cirk, Tag und Nacht.“
Inken wandte sich ab. Eifersucht jagte feurige Schauer durch ihren Körper. Wie kam diese Frau dazu, von Cirk zu träumen? Was, um Gottes willen, wollte sie von ihm?
Verärgert löste Cirk die Hände der Fremden von seinem Hals. „Lucia, ich möchte jetzt sofort wissen, was das zu bedeuten hat. Was tust du hier?“
„Ich musste einfach kommen, obwohl du es mir verboten hast. Mein Bruder hat durch den Gouverneur Hamilton Nachricht davon erhalten, dass ihr der Franzosen in der Festung Delfzijl nicht Herr werdet. Nun traf es sich, dass er in Kürze einen Auftrag in Emden übernehmen soll.“ Sie kräuselte überheblich die Nase. „Es geht dabei um die Einfuhr von Tee aus China, glaube ich, und Thomas soll für diesen Schurken fahren, den meine Mutter geheiratet hat. Mit dem
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