Die Friesenrose
dass er Lucia als Spielzeug gedient hatte?
Endlich stiegen die Wut und der Zorn, auf die sie gewartet hatte, wie ein Sturm in ihr hoch. Was glaubte dieser Mensch eigentlich, wer er war? Jemand, der Frauen nach Belieben benutzte und danach wegwarf? Jemand, der die Gefühle anderer mit Füßen treten durfte? Aber so weit würde es bei ihr nicht kommen. Nicht, solange sie, Inken, noch einen Hauch von Selbstachtung im Leibe hatte. Sie brauchte Cirk nicht, um leben zu können. Alle Träume, alle Bilder von ihm waren doch nur Trug gewesen. Diesen Cirk, dessen anderes Wesen sie im Moor und auf der Insel zu erhaschen geglaubt hatte, gab es nicht.
Wut und Zorn, gepaart mit dem Schmerz des Verlustes verwandelten Inkens Inneres. Es war eine Verwandlung, die Inken zwar spürte, aber nicht in Worte fassen konnte. Gestern noch hatte sie an die Liebe geglaubt, doch heute war das ausgelassene, vertrauensselige Mädchen, das den Torfkähnen nachschaute und von einer gemeinsamen Zukunft mit Cirk geträumt hatte, verschwunden. An seiner Stelle fand sie nun eine nüchterne junge Frau, die nicht mehr an Zärtlichkeiten und heiße Küsse dachte, sondern ein konkretes Ziel vor Augen hatte. Sie, Inken, würde ihre ganze Energie darauf verwenden, erfolgreich zu sein. Nur was man aus eigener Kraft schuf, hatte Bestand!
Inken stand auf. Sie trat zum Spiegel und straffte die Schultern. Sie fühlte sich wie auf der Schwelle zu einem neuen Anfang, zu einem neuen Leben. Ein Leben, in dem Cirk keinen Raum mehr einnehmen würde, nicht mehr einnehmen durfte! Es gab noch etwas anderes auf der Welt! Was ihr blieb, war die Freundschaft zu Tjalda und zu Sumi.
„Manchmal muss man etwas hergeben, um Neues zu gewinnen“, hörte sie die Stimme der Chinesin sagen.
Alles hatte sich geändert und war doch gleichzeitig unverändert.So wie der Durst auf eine Tasse Tee, den Inken nun verspürte. Sie lebte noch, der Tee rief sie! Inken warf den Kopf in den Nacken und ging hocherhobenen Hauptes nach unten und dem Duft des Tees entgegen.
7. Der Anfang
Den geehrten Einwohnern von Emden und Umgebung wird hierdurch die ergebene Mitteilung gemacht, dass ich unter der obigen Adresse und dem Namen „Willems Kruiderrie“ ein Kolonialwaren- und Special-Tee-Geschäft eröffnet habe .
Indem ich um gütige Unterstützung meines neuen Unternehmens bitte, verspreche ich streng reelle Preise und eine aufmerksame Bedienung .
Hochachtungsvoll
Inken Hinderks*
*Anzeige im Stil der damaligen Zeit
Die Kruiderrie
„Die Emder sind unglaublich stur.“ Empört hieb Inken mit der Faust auf den Tisch. „Was sie nicht kennen, nehmen sie einfach nicht an.“
Tjalda nickte zustimmend. „Diese bodenlose Ignoranz regt mich auf. Dass die Damen der Gesellschaft mich nicht akzeptieren, daran habe ich mich gewöhnt. Eine Frau in Hosen, die Geschäfte mit Männern macht. Aber dass sie wegen einer Chinesin oder aus was für Gründen auch immer die Kruiderrie meiden, kann ich nicht verstehen.“
In den letzten Wochen hatten Tjalda, Sumi und Inken mithilfe einiger Handwerker „Willems Kruiderrie“ renoviert. Tjalda hatte befunden, dass der Laden zumindest einen neuen Anstrich brauchte, und war als Geldgeberin in das Projekt „Willem“, wie sie es nannte, eingestiegen. Sie orderte auch die Anbringung eines Überstandes an. „Damit ihr Körbe mit Obst und Gemüse selbst im Nieselregen draußen aufbauen könnt.“
Sumi, die traurige Chinesin, hatte sich gerne dazu überreden lassen und war in den letzten Wochen geradezu aufgeblüht. Mit Tjalda verstand sie sich prächtig. Es schien, als ob die beiden Frauen voneinander lernen würden. Tjalda war regelrecht erpicht darauf, sich mit Sumi auszutauschen, deren Meinungen immer so vollkommen anders waren als die ihren, dabei aber nicht weniger klug. Das faszinierte die Geldverleiherin. Und Sumi hatte schnell Tjaldas großes Herz hinter der rauen Schale erkannt. Einmal sagte sie zu Inken: „Die weise Frau ist nur äußerlich hart. Sie hat Augen so sanft und weich wie ein Frühlingsregen. Tiefe liegt darin und ein Berg von Trauer.“
Geldliche Angelegenheiten überließen sie und Inken Tjaldas fachkundigen Händen. Und auch wenn es um bauliche Veränderungen ging, richteten sich Sumi und Inken nach der Meinung ihrer Freundin. Und so war es nicht beim Streichen und beim Überstand geblieben. Bei näherem Hinsehen hatte Tjalda in den Zimmern im oberen Bereich der Wände Flecken festgestellt, die durch eindringendes Wasser verursacht
Weitere Kostenlose Bücher