Die Frucht des Bösen
«Sie glauben, ich hätte nichts Besseres zu tun, als schwerstarbeitende Mitarbeiter einer psychiatrischen Station zu terrorisieren? Familien werden
ausgelöscht
, Kinder
ermordet
. Erzählen Sie mir endlich, was hier vor sich geht, damit meine Leute eingreifen können. Es ist fünf Uhr, Karen. Sagen Sie mir, wer um sechs tot sein könnte.»
Als hätte sie das Stichwort dafür gegeben, gellte plötzlich ein Schrei durch den Verwaltungstrakt. Ihm folgte ein zweiter, ein dritter. Schrille Schreie voller Entsetzen, die zu einem ganzen Chor anschwollen.
«Das kommt aus dem Aufenthaltsbereich», sagte Karen und sprang auf. Sie griff nach dem Schlüsselbund an dem Band und rannte zur Tür.
D. D. hängte sich ihr an die Fersen. Es waren jetzt einzelne Worte zu verstehen. «Teufel!», schrien die Kinder. «
Diablo. Está aquí. Está aquí.
Der Teufel ist hier.»
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28 . Kapitel
Victoria
Ich träume von fernen Stränden. Von blendend weißem Sand, in dem meine Füße einsinken. Von türkisfarbenen Wellen, die sich auf das Ufer zuwälzen. Von einer gelbroten Sonne, die mein Gesicht wärmt.
Ich träume davon, mit meinem Mann Hand in Hand spazieren zu gehen.
Unsere Kinder laufen voran, lachen und sind glücklich. Evans Locken leuchten golden im Sonnenlicht, Chelseas dunklerer Kopf beugt sich zu ihm hin. Mit einem Stock graben sie ein Loch in den Sand, knapp außer Reichweite der Wellen, die über den Strand lappen.
Evan hebt einen Arm und stößt seine Schwester ohne großen Kraftaufwand ins Loch. Der Sand verschlingt sie mit einem gierigen Schluck. Lachend läuft Evan auf uns zu. Jetzt sehe ich, dass er keinen Stock in der Hand hält, sondern ein Schwert. Er zielt damit auf seinen Vater, wird schneller, und als er so über den flimmernden Strand herbeifliegt, tanzt das Phantom in seinen Augen.
«Du gehörst mir», sagt er zu mir, als er seinem Vater das Schwert in die Brust rammt. «Mir ganz allein.»
Dann nähert er sich mit der blutigen Klinge …
Ich werde von einem seltsamen Piepen geweckt, einem hohen Ton, der mir in den Ohren wehtut. Wie um ihn auszublenden, kneife ich die Augen zu. Aber es piept weiter. Ich öffne die Augen und registriere mehrere Dinge auf einmal.
Ich liege in einem Krankenhauszimmer und habe Schmerzen, die kaum auszuhalten sind. Ringsum stehen Apparate, von denen Schläuche und Drähte abgehen, die in meiner linken Hand zusammenlaufen. Mir ist heiß. Ich bin verwirrt.
Erst dann bemerke ich, dass Michael auf einem Stuhl neben dem Bett sitzt und schläft.
Während ich ihn fassungslos betrachte, rührt er sich, öffnet die Augen und schreckt auf, als er sieht, dass ich wach bin.
«Victoria?», sagt er mit heiserer Stimme.
«Wo ist Evan?», frage ich panisch.
Seine Miene erstarrt. Er steht auf. Er trägt dieselben Sachen wie bei seinem Kurzbesuch – Khakishorts und das Oberhemd von Brooks Brothers, was mich zusätzlich verwirrt. Welchen Tag haben wir heute? Was ist passiert?
«Wie geht es dir?», fragt er, kommt ans Bett und blickt auf die Apparate, als verstünde er etwas davon.
Ich schlucke einmal, zweimal. «Bin durstig.»
«Ich werde die Schwester rufen.» Er drückt auf einen Knopf.
«Evan?», frage ich wieder.
«Alles in Ordnung mit ihm.»
«Chelsea?»
«Sie ist zu Hause. Bei Melinda. Woran erinnerst du dich?»
Ich schüttele den Kopf. Mir fällt nichts ein. Aber dann erinnere ich mich stückweise. Wie ich mich neben mein von der Sonne überhitztes Kind aufs Sofa setzte, mich schläfrig fühlte und plötzlich einen Stich in der Seite spürte …
Unwillkürlich fährt meine Hand an den Rippenbogen. Tatsächlich, die Stelle ist verbunden. Von dort gehen die Schmerzen aus, die ich empfinde. Mein Sohn hat zugestochen.
«Das Messer hat deine Leber verletzt», erklärt Michael, als hätte er meine Gedanken erraten. «Wenn dich der Rettungsdienst nicht sofort hierher geschafft hätte, wärst du verblutet.»
«Evan?», frage ich zum dritten Mal.
«Kannst du mich verstehen, Victoria? Du wärst fast verblutet.»
Eine Schwester taucht auf. Sie greift nach meinem Handgelenk und fühlt meinen Puls, obwohl da eine lästige Plastikklammer auf meinem Zeigefinger steckt, über die mein Herzschlag aufgezeichnet wird. «Wie geht es Ihnen?», fragt sie und blickt auf die Messgeräte.
«Ich habe Durst …»
«Ich bringe Ihnen ein paar Eiswürfel. Wenn Sie die bei sich behalten, können wir es mit Wasser versuchen. Einverstanden?»
Ich nicke. Sie
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