Die Frucht des Bösen
Gebrauch von Strychnin und wissen, wie es ist, wenn sich die Familie plötzlich auflöst.»
«Meine Schwester hat unsere Eltern getötet», korrigierte Greg. «Das ist etwas anderes.»
«Da hat er recht», sagte Alex.
D. D. schaute ihn fragend an.
«Außerdem habe ich ein Alibi», fuhr Greg fort. «Donnerstagabend – da sind doch die Harringtons umgebracht worden, stimmt’s? –, an dem Abend habe ich mich um Evan Oliver gekümmert, den Jungen, der heute Nachmittag eingeliefert wurde.»
«Augenblick.» Alex beugte sich vor. «Sprechen wir von dem Jungen, der seine Mutter niedergestochen hat?»
«Ja, Evan Oliver. Seine Mutter hat mich engagiert. Ich bin einmal in der Woche bei ihnen.»
«Bei ihnen zu Hause?»
Greg nickte.
«Und Lightfoot? Hat er sich auch um den Jungen gekümmert?»
«Kann sein, dass ich ihn empfohlen habe.»
Alex lehnte sich zurück und fragte nach einem kurzen Seitenblick auf D. D.: «Können Sie mit Schusswaffen umgehen, Greg?»
«Nein.»
«Mit einem Taser vielleicht?»
«Wie bitte? Schauen Sie mich an. Hätte ich so ein Spielzeug nötig?»
«Auch kein Kissen, um einen Säugling zu ersticken?»
«Was?» Greg war sichtlich entsetzt.
D. D. wandte sich an Alex. «Was denkst du?», fragte sie.
«Ich würde unserem Wunderheiler gern ein paar Fragen stellen», antwortete er. «Zum Beispiel, warum er uns in Bezug auf die Familie Laraquette-Solis angelogen hat, seit wann er seine ‹Geschenke› in Rechnung stellt und wo er Donnerstagabend beziehungsweise Freitagnacht gewesen ist.»
«Immerhin wissen wir, wo er sich zurzeit aufhält.» D. D. rückte vom Tisch ab und stand auf. «Sie bleiben hier», sagte sie mit Blick auf Danielle und Greg. «Wenn Sie Glück haben, komme ich ohne Haftbefehl gegen Sie zurück. Aber versprechen kann ich nichts.»
Sie grinste und ging zur Tür. Alex folgte.
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Montag
35 . Kapitel
Victoria
Ein Rumpeln im Flur hat mich aufgeweckt. Ich reiße die Augen auf und wälze mich auf die rechte Seite, weil mir so schlecht ist, dass ich mich übergeben muss.
Der Würgereiz lässt nach, aber ich fühle mich desorientiert und erschöpft. Langsam drehe ich mich wieder auf den Rücken. Ich starre an die kahle Zimmerdecke und lasse mir eine Weile Zeit, um meine Sinne zu ordnen.
Im Traum habe ich mit meinem Sohn gespielt und mich mit meinem Exmann unterhalten. Und dann … dies.
Sollte ich deshalb heulen? Ich würde es gern. Wenn einen das eigene Kind mit einem Messer attackiert, wäre das schließlich die angemessene Reaktion. Aber mir wollen die Tränen einfach nicht kommen. Ich bin wie ausgetrocknet. Seit Jahren kämpfe ich einen Krieg. Und den habe ich nun verloren, innerhalb von nur dreißig Sekunden.
Es gibt keinen Weg zurück. Ich stehe vor einer neuen Etappe. Mein Sohn ist gewalttätig, und ich war sein erstes Opfer.
Zum Glück ist es nicht Chelsea
, denke ich und fange schließlich doch an zu weinen, schluchze leise vor Erleichterung, denn Michael ist nicht der Einzige, der seit Jahren in der ständigen Angst lebt, seinem Sohn schaden zu müssen, um seine Tochter zu retten. Immerhin musste es dazu nicht kommen. Noch nicht.
Dann sehe ich wieder Evan vor mir, seine blauen Augen und sein ansteckendes Lachen, wenn wir im Garten toben. Jetzt weine ich heftig.
In Zukunft werde ich mich, wenn ich Evan ansehe, immer daran erinnern, was er getan hat. Und auch er wird sich erinnern, sooft er mich sieht.
Es gibt kein Zurück.
Und da kommt sie wieder, diese quälende Einsicht:
Ich muss mein Leben von Grund auf ändern, kann nicht einfach weitermachen wie gehabt. Es tut so weh.
Ich richte mich auf. Die Bewegung löst einen scharfen, stechenden Schmerz in der Seite aus. Ich schnappe nach Luft, wanke und fange mich wieder. Schließlich habe ich schon so viel durchgemacht, dass ich mich jetzt nicht von einer Kleinigkeit wie körperlichen Schmerzen bezwingen lasse. Ich beiße die Zähne zusammen und steige aus dem Bett.
Meine Beine sind butterweich. Ich greife nach dem Handlauf am Fußende des Bettes und halte mich daran fest.
Ich nehme mir vor, nicht zu kollabieren, und richte meine Aufmerksamkeit auf die Apparate. Zuerst schalte ich den Herzmonitor aus und ziehe den Clip vom Zeigefinger. Als Nächstes reiße ich den Klebestreifen von der Hand, unter dem die Braunüle steckt, und ziehe sie mitsamt der Injektionsnadel aus der Vene. Auf der bleichen Haut zeigt sich ein Tropfen Blut. Ich wische ihn ab.
Vorsichtig setze ich fünf
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