Die Frucht des Bösen
Schritte durchs Zimmer. Ich fürchte, ich werde es nicht schaffen. Jedes Mal, wenn ich Luft hole, ist mir, als würde mein Inneres zwischen Glasscherben zerrieben. Mir ist schwindlig. Aber ich kann nicht zurück ins Bett. Vielleicht bin ich verrückt geworden. Vielleicht ist heute Morgen nicht nur bei Evan eine Sicherung durchgebrannt. Jedenfalls kann ich nicht zurück. Und ich will es auch nicht.
Himmelherrgott, nach acht Jahren darf ich ruhig auch einmal die Nerven verlieren.
Ich müsste mir etwas um die Rippen wickeln, einen Stützverband anlegen.
Nur gut, dass ich mir zu helfen weiß. Nach etlichen Tobsuchtsanfällen habe ich Evan selbst verarzten müssen, Gelenke wieder eingerenkt, Schnittwunden mit Sekundenkleber geschlossen (wie man das macht, habe ich im Discovery Channel gesehen) und gebrochene Rippen bandagiert. Alles, was ich brauche, um eine gute Ärztin zu sein, sind medizinische Bedarfsartikel.
Nun, ich bin schließlich in einem Krankenhaus.
Ich raffe mein Nachthemd und schleiche hinaus in den Flur. Mit Blick auf die Wanduhr stelle ich fest, dass es kurz nach Mitternacht ist. Der Montag hat begonnen. Ich versuche, aus dieser Tatsache Mut zu schöpfen. Ein guter neuer Tag. Doch wie ich so in dem hell erleuchteten Flur stehe, fühle ich mich verloren und allein.
Es ist still, das Schwesternzimmer leer. Ich mache mich auf den Weg, halte mich dicht an der Wand. Vier Türen weiter stoße ich auf einen Rollwagen mit Verbandsmaterial. Ich greife mir eine Mullbinde und eine Handvoll Klammern, kehre in mein Zimmer zurück und schließe die Tür hinter mir. Ich muss mich ausruhen. In meinem Kopf dreht sich alles. Ich lutsche noch ein bisschen Eis und krieche wieder ins Bett. Trotz fester Vorsätze, wach zu bleiben, schlafe ich ein.
Als ich aufwache, lese ich an der Wanduhr ab, dass zwei Stunden verstrichen sind. Irgendjemand hat mich zugedeckt. Auf dem Stuhl liegt ein kleiner Matchbeutel. Wahrscheinlich von Michael. Es versetzt mir einen Stich, dass er mich wieder verlassen hat. Verrückt. Ich werde verrückt.
Egal.
Ich halte immer noch das Verbandsmaterial in der Hand. Es erinnert mich an mein Vorhaben, bringt mich wieder auf Kurs. Ich steige aus dem Bett. Diesmal stehe ich sicherer auf den Beinen.
Ich ziehe das dünne Nachthemd über den Kopf und betrachte den Verband an der Seite. Darauf sind dunkle Flecken zu sehen. Altes Blut. Kein frisches. Soll mir recht sein.
Vorsichtig wickle ich den Mullverband auf Höhe des Rippenbogens um den Leib, so fest, dass er mir Halt geben kann. Es fällt mir schwer, Luft zu holen, aber die Schmerzen sind erträglich.
Ich schaue in dem Matchbeutel nach. Michael hat an alles Wesentliche gedacht: Trainingsanzug, Unterwäsche, Socken, Flipflops, Toilettenartikel. Ein Déjà-vu – und dann fällt es mir ein: Dieselben Sachen habe ich vor Chelseas Entbindung mit ins Krankenhaus genommen.
Wieder muss ich mit mir kämpfen. Ich möchte jedes einzelne Ding befühlen und als Glücksbringer einsetzen, einen Talisman für das Leben, das ich nicht aufgeben kann, der Frau, die ich zu sein hoffte. Ich setze mich mit dem Trainingsanzug auf die Bettkante und weine.
Mein Selbstmitleid ärgert mich. Ich bin es leid, um einen Mann zu heulen, der mich verlassen hat. Ich bin es leid, ein Kind zu lieben, das mir ein Messer zwischen die Rippen gestoßen und mir dann am Telefon versprochen hat, es beim nächsten Mal richtig zu machen.
Das Leben, das ich führen wollte, ist vorbei. Zeit für einen Neuanfang als neue Frau. Als eine, die in einem langen purpurnen Kleid über weiße Sandstrände schlendert, eine Margarita in der Hand, den Glasrand voller Salz. Vielleicht begegne ich einem jungen, hübschen Surfer. Wir lieben uns unter Palmen, und der Sand gelangt an interessante Stellen. Ich sehe die Sonne aufgehen und lausche dem Ruf der Möwen. Ich denke nur noch an mich und das, worauf ich mich freuen kann. Es wird mir gefallen.
Ich habe meinen Verstand verloren.
Scheiße. Ich ziehe mich an.
Oh, diese Schmerzen. Ich nutze sie, um meinen Entschluss zu festigen. Unterwäsche. Trainingshose. T-Shirt. Flipflops. Ich putze mir die Zähne, kämme mich. Welt da draußen, sieh dich vor.
Ich schwitze. Meine Seite schmerzt. Ich trinke das Wasser der geschmolzenen Eiswürfel.
Ich habe kein Geld, keinen Pass und den Verstand verloren. Keine guten Voraussetzungen für Erfolg.
Und ich erinnere mich daran, dass ich zu viel Sonne gar nicht vertragen kann. Ich bekomme ganz schnell einen
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