Die Frucht des Bösen
Notizen.
Aber dann schüttelte der Arzt den Kopf. «Sie wollen wissen, ob sich der Kerl selbst erschossen hat? Davon gehen Sie aus, von Selbstmord, nicht wahr?»
«Das versuchen wir herauszufinden», erklärte Phil vorsichtig.
«In Anbetracht der CT -Aufnahmen halte ich das für sehr unwahrscheinlich.»
«Was soll das heißen?», fragte D. D.
«Wie gesagt, das Projektil hat die linke Schläfe durchschlagen und ist im linken posterialen Parietallappen stecken geblieben. Der Schusskanal verläuft fast horizontal. Versuchen Sie das einmal zu rekonstruieren …» Poor stellte seinen Becher ab und krümmte den rechten Zeigefinger um den Abzug einer vorgestellten Pistole, die er dann unter Verrenkungen an die linke Schläfe führte. «Klappen könnte es durchaus, aber es wäre schwierig, besonders für jemanden, der komplett mit Adrenalin und Endorphinen vollgepumpt ist. Die meisten selbst zugefügten Schusswunden, die wir zu Gesicht bekommen, haben einen geneigten Schusskanal, was daran liegt, dass der Schütze im letzten Moment zusammenzuckt und die Pistole verreißt. Ein sauberer Schuss hingegen …»
Er zeigte sich skeptisch, nahm den Becher wieder in die Hand und nippte an seinem Kaffee. «Andererseits ist es nicht gerade einfach, den Schusskanal im Gehirn eindeutig zu bestimmen.»
«Wie meinen Sie das?», fragte D. D.
«Aufgrund der konsekutiven Zunahme des Hirndruckes fällt der Kanal in sich zusammen. Wir können zwar sehen, wo die Kugel in den Schädel eingedrungen und wo sie stecken geblieben ist, doch welchen Weg sie durchs Gehirn genommen hat, bleibt fraglich. Es könnte sein, dass sie wie eine Flipperkugel darin herumgesprungen ist. Nicht wahrscheinlich, aber möglich.»
«Sehen Sie viele Schusswunden dieser Art?», fragte D. D.
«Für meinen Geschmack, ja.»
«Wie ist Ihr Gefühl, was diesen Fall betrifft? Es muss keine wissenschaftliche Expertise sein und bleibt unter uns.»
Er machte wieder eine flapsige Handbewegung. «Ich will mich nicht festlegen, aber nach einer typischen Eigenverletzung sieht es nicht aus. Typisch ist eigentlich nur, dass es sich bei dem Opfer um einen Mann handelt. Alles andere – Waffentyp, Lage der Wunde und so weiter – fällt eher aus dem Rahmen.»
D. D. runzelte die Stirn. Sie hatte sich zwar eine genauere Antwort erhofft, war aber nicht sonderlich überrascht. Ärzte ließen sich nur ungern festnageln. «Ist Ihnen etwas an seinen Händen aufgefallen?»
«Nein, ich war nur mit dem Kopf beschäftigt.»
«Hat er etwas gesagt, einen kurzen, klaren Moment gehabt?»
«Nicht in meinem Beisein.» Der Doktor nahm den Becher in beide Hände, stand auf und steuerte auf den Ausgang der Cafeteria zu. D. D. und Phil folgten ihm, langsamer diesmal.
In der Tür drehte er sich noch einmal um. «Fragen Sie im Schwesternzimmer nach, wer den Patienten aufgenommen hat. Vielleicht lässt sich über die Person mehr erfahren.»
Dr. Poor verschwand im Treppenhaus.
D. D. und Phil machten sich auf die Suche nach Schwester Terri.
Es stellte sich heraus, dass Rebecca Moore für die Aufnahme von Patrick Harrington zuständig gewesen war. Sie hatte ihre zweite Schicht in Folge und kümmerte sich gerade um ein dreijähriges Kind mit Erbrechen.
D. D. rümpfte die Nase über den Gestank. Phil schien unbeeindruckt. Er hatte drei Kinder und erzählte gern, dass er für die Mordkommission arbeite, um der häuslichen Hölle entfliehen zu können.
«Sie haben gestern Abend einen Patienten mit Schussverletzung aufgenommen», sagte D. D. «Könnten Sie uns Näheres darüber mitteilen?»
«Der Kopfschuss?», fragte Rebecca nach.
«Genau.»
«Er wurde vom Rettungsdienst eingeliefert. Ich habe seine Daten aufgenommen und Dr. Poor verständigt, weil der sich mit solchen Verletzungen am besten auskennt. Er hat den Patienten dann in die Neurochirurgie zu Dr. Badger bringen lassen.»
«War der Patient bei Bewusstsein, als er eingeliefert wurde?»
«Nein, Ma’am.»
«Ist er während der Aufnahme irgendwann zu Bewusstsein gekommen?»
«Nein, Ma’am – oh, Moment mal, nach der CT -Untersuchung hat er kurz die Augen geöffnet.»
«Hat er irgendwas von sich gegeben?»
«Seine Lippen bewegten sich. Er versuchte, etwas zu sagen.»
«Konnten Sie etwas verstehen?», fragte Phil mit scharfem Unterton.
Die Krankenschwester zuckte mit den Achseln. «Ich bin nicht sicher, aber ein Wort klang wie ‹hussy›.»
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6 . Kapitel
Victoria
Ein Messer fehlt.
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