Die Frucht des Bösen
eignen sie sich auch als Therapeuten. Wenn auch wir Menschen nur unsere Sinne öffnen würden, sähe es in unserer Welt um einiges besser aus.»
D. D. nahm sich einen Becher und ein warmes Croissant und setzte sich neben Alex. Lightfoot nahm auf einen Stuhl ihnen gegenüber Platz, ein Bein lässig über das andere geschlagen. Er wirkte entspannt, ganz wie ein offener Gastgeber, der stolz sein Haus präsentierte. In Anbetracht der Tatsache, dass eine seiner Klientinnen gerade auf brutalste Weise ermordet worden war, fand D. D. sein Verhalten ein wenig eigentümlich.
«Sie wissen, warum wir hier sind?», fragte sie.
Lightfoot legte seine Fingerspitzen aneinander und schüttelte den Kopf. «Aber ich bin sicher, Sie werden es mir gleich verraten.»
D. D. warf Alex einen flüchtigen Blick zu, der nicht minder verblüfft zu sein schien. Schnell setzten beide wieder eine geschäftsmäßige Miene auf.
«Sehen Sie keine Nachrichten?», fragte D. D.
«Ich besitze keinen Fernseher», antwortete Lightfoot leichthin.
«Nachrichten interessieren Sie also nicht. Sind die Ihnen zu profan?»
Lightfoot lächelte. «Ich bevorzuge das Internet als Informationsquelle. Außerdem lese ich Zeitung. Aber in den vergangenen Tagen bin ich nicht dazu gekommen, weil ich mit einem besonders anspruchsvollen Fall beschäftigt war und danach nur noch Wind und Wellen habe auf mich wirken lassen, um wieder zur Ruhe zu kommen.»
«Ein anspruchsvoller Fall?», hakte Alex nach, der immer noch das Hündchen streichelte.
«Jemals von Jo Rhodes gehört?», fragte Lightfoot.
D. D. und Alex schüttelten den Kopf.
«Sie war eine berühmte Varietétänzerin, die in den zwanziger Jahren brutal ermordet wurde. Man fand ihre übel zugerichtete Leiche erhängt in einem Hotelzimmer. Der Täter konnte nie überführt werden. Zufällig bin ich ihrer Seele in der spirituellen Zwischenwelt begegnet. Eine schreckliche Tragödie: ermordet zu werden und dann in der Falle des eigenen Hasses festzusitzen. Ich habe ihr meine Hilfe angeboten.»
«Sie haben einen Geist vernommen, um einen Mörder zu identifizieren?», fragte D. D. sichtlich verwirrt.
Lightfoot lächelte sie an. «Nein, ich habe Jo geholfen, von ihrer Wut abzulassen. Ihr Mörder starb vor zwanzig Jahren. Was sie nicht zur Ruhe kommen ließ, war ihre eigene Negativität. Aber schon nach wenigen Sitzungen hat sie das Licht in sich wieder entdeckt und ihre Reise fortsetzen können. Eine für mich sehr befriedigende Erfahrung, die mir allerdings auch einiges abverlangt hat.»
D. D. fehlten die Worte. Sie setzte ihren Kaffeebecher ab. «Mr Lightfoot …»
«Andrew.»
«Mr Lightfoot», wiederholte sie. «Was machen Sie eigentlich wirklich?»
«Ich beschäftige mich mit grenzwissenschaftlichen Fragen. Mit Woo-woo, wenn Sie so wollen.»
«Woo-woo?»
«Ja, so heißt es doch umgangssprachlich, wenn vom sechsten Sinn, spirituellen Kräften oder anderen Seinsebenen die Rede ist. Nach meiner Erfahrung sind auch Polizisten Experten in dieser Disziplin. Sie haben nur andere Begriffe dafür. Instinkt etwa oder Bauchgefühl. Das besondere Etwas, das Ihnen zum Erfolg verhilft.»
D. D. musterte ihn kritisch. «Sie verkaufen also … Woo-woo und verdienen damit so viel, dass Sie sich all das leisten können?»
«Bevor ich mich mit Esoterik beschäftigt habe», entgegnete Lightfoot unbekümmert, «war ich Investmentbanker. Ein sehr guter Investmentbanker. Ich fuhr einen Porsche, habe meine Frauen aufgrund ihrer Körbchengröße ausgesucht und meine Konkurrenten übers Ohr gehauen. Ich habe Millionen gescheffelt, war aber spirituell total ausgehöhlt. Geld macht nicht glücklich, obwohl ich zugebe, dass ich einmal ziemlich scharf darauf war.»
«Sie sind also aus dem großen Geschäft ausgestiegen?»
«Eines Tages kam ich auf dem Weg zur Arbeit an einer Wahrsagerin vorbei. Sie packte mich am Arm und wollte wissen, warum ich meine Talente vergeude. Statt an der Wall Street zu spekulieren, solle ich doch lieber verlorenen Seelen helfen, sagte sie. Natürlich habe ich mich von ihr losgerissen. Verrückte alte Hexe, dachte ich. Aber eine Woche später saß ich in einem Restaurant mit einem ehemaligen Kommilitonen, dem gerade Hautkrebs diagnostiziert worden war. Aus Mitgefühl streckte ich den Arm aus, ergriff seine Hand und verspürte plötzlich eine sengende Hitze. Es war, als stünde meine Hand in Flammen, dann der Arm, meine Brust, mein Gesicht, die Haare. Als ich ihn losließ, konnte ich nicht mehr
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