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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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der Decke abprallen und fing sie wieder auf:
Fingerübungen. Während er langsam in der Schwerelosigkeit kreiste, wurden
verschiedene Wände zur Boden-oder Deckenfläche, und er richtete seine Würfe
danach aus. Er steigerte das Tempo, dann ließ er sämtliche Flummis gleichzeitig
davon sausen, so dass sie nach dem Abprallen ein wirbelndes, dreidimensionales
Muster um seinen Körper bildeten. Die Bälle kreuzten gegenseitig ihre Bahnen,
umkreisten ihn wie ein Planetensystem und ordneten sich schließlich unter
seinen Händen zu einem streng geometrischen Tanz, bei dem sechs Paare in
geraden Linien nach außen flogen und zur Mitte zurückkehrten. Dschinn besaß
eine Körperbeherrschung, die buchstäblich übermenschlich war, aber er musste
sich dennoch konzentrieren, um keinen Ball zu verlieren.
    Jonglieren in Schwerelosigkeit war
eine tückische Angelegenheit. Man musste nicht nur die Flugbahnen der Bälle
beherrschen, sondern wurde durch den Rückprall selbst im Raum hin und her
bewegt. Der Körper änderte ständig seine Position. Auf gewisse Weise erinnerte
es Schimäre an die Spielsteingärten – als würde man mathematische Formeln in
einen Tanz verwandeln – während Caravan mit jeder Faser seines Körpers zu
wissen schien, welche Bewegungen er ausführen musste. Das Jonglieren forderte
alle seine Persönlichkeiten gleichzeitig und brachte sie dazu, in seltenem
Gleichklang zusammenzuarbeiten: Bladerunners sekundenschnelle Reflexe,
Schimäres mathematische Präzision und Passats Denken in dreidimensionalen
Flugmustern flossen zusammen. Caravans kreatives Talent machte aus bloßer
Geschicklichkeit eine Kunstform.
    Jemand klatschte.
    Dschinn zuckte zusammen und griff
daneben. Das Muster brach auseinander und wurde zu zwölf wild herumschwirrenden
Flummis. Gerade noch konnte er sich zusammenducken, um einem vorbeisausenden
Ball zu entgehen, der ihm ein blaues Auge verpasst hätte. Verärgert drehte er
sich um.
    Lazarus stand kopfüber auf einer
Deckenfläche halbrechts über ihm. „Tut mir leid“ sagte er nur wenig reumütig
und fing einen Ball aus der Luft. Der Flummi biss ihn kräftig in den Daumen und
sauste davon. „Autsch!“ Der Ex-Kapitän steckte sich den gequetschten Finger in
den Mund.
    „Tut mir leid“, echote Dschinn
spöttisch und ließ die Bälle zurück in Caravans Körper schlüpfen.
    „Was war denn das ?“
    Er breitete seine Ärmel zu
Flügelflächen aus und schwebte auf den Spiegelboden neben Lazarus. Dort haftete
er sich mit Fußsohlen voller Saugnäpfen fest. Lazarus selbst trug magnetische
Artistenschuhe, so dass er nicht in den Saal forttrieb. „Wenn ich Teile von mir
herumfliegen lasse, rüste ich sie vorher mit Überlebensinstinkten aus. Ich habe
keine Lust, eine meiner Kernzellen zu verlieren.“
    „Ich wusste nicht, dass Sie sich
in einen Schwarm aufspalten können.“
    „Tja, jetzt wissen Sie es.“
    Lazarus warf den Kopf zurück, so
dass die puderweißen Haare aus seinem Porzellangesicht fielen und schaute aus
schmalen Augen zu ihm auf. „Ich wette, es gibt noch eine Menge Überraschungen,
auf die Sie uns nicht vorbereitete haben.“
    Dschinn löste die Caravan-Hülle
auf und verwandelte sich wieder in das Mädchen im weißen Kleid. Jetzt war ihr
Körper zierlich genug, damit Lazarus nicht zu ihr hochsehen musste – eine
Höflichkeitsgeste mit hoffentlich positiver psychologischer Wirkung. „Sie haben
mir nie über den Weg getraut, Lazarus.“
    „Weshalb sollte ich auch?“
    „Vielleicht weil Randori es tut? Die
Kapitänin ist genauso paranoid wie Sie. Dennoch konnte ich sie überzeugen, dass
mir das Wohl meiner menschlichen Gattung nicht weniger am Herzen liegt als das
meiner Ursprungsrasse.“
    „Das klingt ganz wunderbar, aber
was werden Sie tun, wenn sich die Interessen unserer beiden Völker
widersprechen? Auf welche Seite werden Sie sich schlagen? Wir haben ein Sprichwort:
Man kann nicht zwei Herren zugleich dienen.“
    „ Ich kann das schon. Es ist
Teil meiner Natur. Ich bin immer vieles zugleich.“
    Lazarus schüttelte den Kopf, aber
die Geste drückte eher Unverständnis als Ablehnung aus. Er begann abwesend die
Wand hinaufzugehen. Der Ex-Kapitän hatte die Angewohnheit, im Kreis
herumzulaufen, wenn er nachdachte. Die weiten Rüschenärmel seines Hemdes schwebten
um seine zerbrechliche Gestalt, während er kopfüber den Raum entlang schlenderte.
Dschinn bemerkte, dass er den Degen abgelegt hatte, bevor er in die Halle
gekommen war. Sie hatte ihn noch nie

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