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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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vor, sich
weiter zu verstecken. Ganz gleich, war Randori sagte, es wurde Zeit, dass die
Arche von ihrer Existenz erfuhr. Die Kapitänin sprach davon, dass die Passagiere
nicht bereit waren, mit einer außerirdischen Intelligenz konfrontiert zu
werden. Sie malte eine allgemeine Panik an die Wand. Aber Randori war ein Snob
und hielt die Passagiere aus Prinzip für eine dumpfe Masse, die man durch Brot
und Spiele bei Laune halten musste. Sie zeigte ihre Vorurteile nicht so
deutlich wie die übrigen Crew, doch das änderte nichts daran, dass sie
ebenfalls nur einen Haufen Pass in ihnen sah, zu unreif für eigene
Entscheidungen.
    Davon abgesehen hatte Dschinn den
Verdacht, dass Randori jedes Argument recht gewesen wäre, um ihr Wissen nicht
mit anderen teilen zu müssen. Sie erledigte Politik am liebsten im Alleingang.
Ihre Geheimniskrämerei wirkte schon zwanghaft. Die Kapitänin war überzeugt,
dass sie am besten arbeitete, wenn ihr niemand in die Entscheidungen
hineinredete. Sich selbst konnte sie vertrauen. Was sie selber tat, darüber
hatte sie Kontrolle. Aber Dschinn hatte nicht vor, weiter mitzuspielen.
    Die Zeit drängte, das
Besiedlungsprogramm war bereits in seine zweite Phase eingetreten. Schon waren
die Designer damit beschäftigt, konkrete Pläne für schwimmende Dörfer und
verankerte Städte zu entwickeln. Dschinn hatte im Strom Architekturmodelle
gesehen, bei denen riesige Metallpfeiler in den Untergrund gerammt wurden, um
Gebäudeplattformen zu tragen. Ein Terraformingprojekt schlug vor, den
Meeresspiegel um zwanzig Meter zu senken, um trockenes Land zu gewinnen. Die
Pläne ähnelten einer planetaren Vergewaltigung. Randori hatte keines der
Modelle genehmigt, und Dschinn war fast sicher, dass sie es auch in Zukunft
nicht tun würde. Doch die Angelegenheit war zu wichtig, um sich nur auf das
Wort einer Politikerin zu verlassen. Was sie brauchte, waren zusätzliche
Verbündete. Dschinn war überzeugt, dass sie die Passagiere auf ihre Seite
ziehen konnte – wenn sie es richtig anfing.
    Konzentriert betrachtete sie ihre
Gestalt in den Spiegelwänden. Die Tücke lag im Detail. Schon die Körpergröße
konnte ausschlaggebend sein. War sie zu klein, würden die Menschen auf sie
herabsehen und sie nicht ernst nehmen. War sie zu groß, konnte ihr Aussehen Furcht
erwecken und zu einer aggressiven Reaktion führen. Dschinn ließ ihre
Antilopengestalt zu allen Seiten wachsen, fügte Körpermasse hinzu, bis sie
ungefähr die Ausmaße eines Ponys hatte. Sie warf ihre perlschimmernde Mähne zurück
und stampfte mit den Hufen in die Luft. War dieser Körper wirklich eine gute
Idee? Als Einhorn war sie in den Augen der Menschen ein geheimnisvolles
Fabelwesen, wehrhaft, wie das spitze Horn verriet, doch von sanftem Charakter.
Einhörner waren unsterblich, sie besaßen die Weisheit von Antiquen ... so sagte
die Fabel. Aber würden die Passagiere nicht doch ein Tier in ihr sehen?
Menschen betrachteten nur das als ebenbürtig, was ihnen äußerlich glich: eine
aufrechte Gestalt, Hände zum Greifen und Zupacken, ein Gesicht, das deutlich lesbare
Gefühle zeigte.
    Dschinn seufzte und ließ ihren
Körper zum wiederholten Mal zerfallen. Sie hatte noch einige Stunden, in denen
sie zwischen den Spiegeln allein sein konnte. Im Moment war es Nacht an Bord,
aber sobald der Schiffstag anbrach, würde sich die Halle wieder mit Artisten
füllen.
    Sie hatte diesen Ort in Caravans
Tagebuch gefunden, als sie in der Vergangenheit ihrer menschlichen Hülle
gestöbert hatte. Der Gedanke an einen von Spiegeln umschlossenen Raum war ihr
nicht aus dem Kopf gegangen. Auf Archensee hatte sie ihrer eigenen Verwandlung
nie zuschauen können. Hier konnte sie ihren Körper von allen Seiten
gleichzeitig betrachten, während er sich ins Unendliche zu vervielfachen
schien.
    Sie liebte Spiegel. Sie konnte
Stunden in Randoris Badezimmer zubringen und sich bei ihren Formexperimenten
beobachten. Serail machte schon Witze über Frauen, die nie aus dem Bad kamen.
Lächelnd dachte Dschinn, wie frustrierend es sein musste, plötzlich mit einem
Caravan die Wohnung zu teilen, der genauso eitel war wie sein Getrauter … Ihre
Gedanken schweiften ab, sie brauchte eine Erholungspause. Fast von selbst
verwandelte sie sich in Caravan, schlüpfte in den vertrauten Körper wie in ein
bequemes, liebgewonnenes Paar Hausschuhe.
    Ihre Hülle hielt zwölf
Kautschukflummis in der Hand. Mit einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk ließ
Caravan die Bälle fächerförmig an

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