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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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fuhr
mit seiner Erklärung der Schiffskultur fort. „Natürlich kann man im Strom auch
Krishnas erschießen, wenn man das so dringend braucht wie dieser Typ in
Badehose. Die Programme dafür wurden von Polizeipsychologen erstellt, um auf
sichere Art Aggressionen abzubauen. Und wenn das alles nichts nützt, dann gibt
es immer noch die Kampfräume. Manche Leute bekommen das sogar ärztlich verordnet:
Geh zweimal die Woche in die Dojos und prügel dich mit einem anderen
Amok-Kandidaten, bis ihr beide nicht mehr kriechen könnt. Im Prinzip läuft es
auf einen schlechten Kompromiss hinaus. Man kann die Gewalt nicht unterdrücken
– für ein friedliches Zusammenleben ist es hier zu eng, zu unnatürlich, zu
vollgepackt mit Menschen. Also hat man stattdessen Regeln eingeführt, wann und
wo diese Gewalt ausgelebt werden darf. Viele Gilden sind wirklich brutal, aber
immer nur innerhalb der eigenen Gruppe. Wenn man ihnen beitritt, kann man die
anderen Mitglieder nach Wunsch verletzten, foltern, töten, aber dafür geht man
eben das Risiko ein, dass man selbst irgendwann zu den Opfern gehört. Der Rest
der Gesellschaft hat auf diese Weise seinen Frieden.“
    „Klingt unmoralisch.“
    Serail warf seinem Getrauten einen
verständnislosen Blick zu und zuckte mit den Schultern. „Ehrlich gesagt ist es
mir völlig egal, ob sich die Kannibalen gegenseitig in Stücke hacken, wenn sie
mich dabei in Ruhe lassen. Und was ist schon Moral? Auf der Arche hat jede
Gilde ihre eigene Ethik, je nachdem, auf welchen Teil der menschlichen Kultur
sie sich beruft. Wenn du bei den Puritanern eintrittst, ist es schon Sünde,
sich die Haare zu färben.“
    „In Ordnung“, sagte Caravan, „das
wollte ich nur wissen. Ich habe in letzter Zeit festgestellt, dass ich ein
Gefühl für moralische Entscheidungen besitze. Ich werde versuchen, es zu ignorieren.
Es ist auch einfacher so.“
    Serail runzelte die Stirn.
Manchmal hatte er keine Ahnung, wovon sein Getrauter redete. Und im Moment war
er zu erschöpft, um Caravans seltsamen Gedankengängen zu folgen.
    Ihre Diskussion hatte sie bis nach
Crewstadt gebracht. Sie gingen eilig über den federnden Daunenboden, an den
silberblau schillernden Wänden vorbei, ohne das Design eines Blickes zu
würdigen.
    Der Strom hatte Randori ihre
Ankunft gemeldet. Kaum waren die beiden vor ihrer Kabine angelangt, öffnete sie
schwungvoll die Tür. „Schon zurück?“, fragte sie fröhlich mit ihrem sommersprossigen
Lächeln. „Ihr wollt mich einfach nicht in Ruhe arbeiten lassen. Dabei habe ich
noch so viele spannende Akten vor mir.“
    „Hallo Randori“, antwortete
Caravan.
    Sie fing seine Stimmung auf. „Was
ist los? Kommt am besten erst mal rein.“ Die beiden folgten der Aufforderung
schweigend. Beunruhigt sagte sie: „Ich wollte mir gerade einen entspannenden
Blautee machen. Der Recycler läuft noch. Hol doch ein paar weitere Tassen,
Serail.“
    Er nickte, ging zur hinteren Wand
und gab die zusätzliche Bestellung auf. Dann stand er eine Weile vor der
Maschine und wartete, bis eine Thermoskanne und das Geschirr erschienen.
    Als er sich umdrehte, sah er mit
gemischten Gefühlen, dass Randori seinen Getrauten schützend in den Arm
genommen hatte. Er fühlte einen Stich von Eifersucht. Caravan hatte sich an sie
gelehnt und erzählte leise von dem Vorfall in der Passagierstadt. Die beiden
gaben ein viel zu gutes Paar ab. Mit einem Mal kam Serail sich wie ein
unerwünschter Beobachter vor.
    Verärgert schob er den Gedanken
beiseite. Sein Getrauter konnte nichts mit Frauen anfangen. Wegen dieses
kleinen Unterwasserunfalls würde er nicht plötzlich seine Sexualität umpolen.
Allerdings, meldete sich eine hartnäckige, dozierende Stimme in seinem Inneren,
wurden Hetero-Beziehungen an Bord nicht ermutigt. Es wurde vorausgesetzt, dass
man sich einen Partner des eigenen Geschlechts suchte. Vielleicht hätte Caravan
normalerweise eine Frau vorgezogen? Durchaus möglich, dass ihre Ehe nur ein
Produkt der Politik war, die mit allen Mitteln gegen die Bevölkerungsexplosion
ankämpfte. Hetero-Paare bekamen im Durchschnitt öfter Kinder, also wurde durch
gesellschaftlichen Druck dafür gesorgt, dass solche Beziehungen selten zustande
kamen. Alles an Bord – Stromromane, Geschichtsdateien, Lieder, Witze – gingen
selbstverständlich davon aus, dass gleichgeschlechtliche Liebe normal und Heterosexualität nur eine tolerierte Ausnahme war. Randori unterschied sich
auch dadurch von der Masse, dass sie bisher fast

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