Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
ausschließlich mit Männern
zusammengelebt hatte.
Und jetzt umgarnte sie gerade
einen neuen. Serail kniff wütend die Augen zusammen, während er die
Thermoskanne zum Tisch trug. Aber dann schaute sein Getrauter ihm offen lächelnd
entgegen, und Serails Misstrauen verflog. Seine Reaktion war kindisch. Das
letzte, was Caravan im Augenblick brauchte, war eine Eifersuchtsszene. „Der Tee
ist sehr heiß“, sagte er bemutternd, während er Caravans Tasse voll goss.
„Warte ein bisschen, bevor du trinkst.“
In diesem Moment klopfte es.
Randori knurrte. „Wer zum Teufel
ist das? Ich bin jetzt wirklich nicht in der Stimmung für Besuche.“
In der Tür stand Lazarus.
Er war eine makellose Erscheinung.
Das Gewand nach historischem Schnitt maßdesignt, ein Brokatrock, Kniebundhose,
Schnallenschuhe. Ein tödlicher Duelldegen hing an seiner Seite, das
Gildezeichen der Dumas. „Ich habe gehört, deine Mitbewohner sind in einen Amok
geraten?“, fragte er liebenswürdig und besorgt.
Randori hätte ihn am liebsten am
Rockkragen gepackt und durchgeschüttelt. „Woher weißt du das schon wieder? Was
willst du hier?“
Er spazierte an ihr vorbei und
warf einen Blick auf das Kaffeekränzchen zwischen den Papierwänden. „Ah,
Blautee“, sagte er, „ist genau, was ich jetzt brauche.“
Randori beobachtet seufzend, wie
der Antique sofort zum Zentrum des Raumes wurde, sobald er eingetreten war.
Lazarus hatte eine Persönlichkeit wie ein Schwarzes Loch. Er sog alle Aufmerksamkeit
auf und verwandelte sie in eine Korona knisternder Energie. Randori war nicht
überrascht, dass Serail nervös auf seiner Bambusmatte herumrutschte, als der
kindliche Dumas auf ihn zukam.
Caravan dagegen schien
bemerkenswert unbeeindruckt. Er lächelte höflich, nahm die Teekanne hoch und
fragte gleichgültig: „Milch oder Zucker?“
Für einen Augenblick geriet
Lazarus Ich-bin-der-Mittelpunkt-des-Universums-Aura ins Flackern. Er sah aus
wie die englische Queen, der man gerade kumpelhaft auf die Schulter geklopft
hatte. Aber er war Politiker und fing sich schnell. „Einen Löffel Zucker,
bitte“, sagte er und machte es sich lässig in einem Korbsessel bequem. Seine
Körpersprache hatte sich verändert. Jetzt war er nicht mehr der
geheimnisumwitterte Herrscher des Schiffes, sondern der nette Crew von nebenan.
Randori verließ ihren
Beobachtungsposten und zog sich ebenfalls einen Stuhl heran. „Also, Lazarus,
was verschafft uns die Ehre?“
Er wandte sich ihr zu und
betrachtete sie mit einer kunstvoll hochgezogenen Augenbraue. „Ich hatte den
Eindruck, du bräuchtest jemanden, um die Hintergründe dieses Blutbads zu besprechen.
Aber wenn du keinen Wert auf den Rat eines senilen alten Mannes legst –“
„Oh bitte, Lazarus, ich bin jetzt
nicht aufgelegt für Theatralik.“ Sie griff nach ihrem Tee und kippte ihn
herunter, als wäre er ein doppelter Wodka für strapazierte Nerven.
Er lachte leise. „Nun gut, um
gleich auf den Punkt zu kommen: War es wirklich ein Amok, oder hatte der
Schütze es auf Caravan abgesehen?“
Randori blinzelte überrascht. Von
dieser Seite hatte sie den Vorfall noch gar nicht betrachtet. Abwesend schenkte
sie sich eine neue Tasse ein und dachte darüber nach. Tatsächlich war es
seltsam, dass Caravan gleich bei seinem ersten Ausflug in die Schusslinie
geriet. Und im Lichte dessen, was Caravan ihr über die Sekundenheilung seiner
Schusswunde erzählt hatte …
Möglicherweise waren Gerüchte darüber
durchgesickert, wie seltsam seine Implantats-OP verlaufen war. Hatte die Ärztin
den Mund nicht halten können? Dr. Nachtigall war eine Passagierin und hatte
offenbar Probleme mit Autorität.
Vielleicht wollte jemand
feststellen, ob Caravan kugelfest war.
Es war durchaus möglich, dass die
übrigen Amokopfer nur ein Ablenkungsmanöver darstellten. Tatsächlich konnte es
sich um ein geplantes Attentat handeln, dessen einziges echtes Ziel Caravan
gewesen war. Aber wer steckte dahinter? Und was wusste Lazarus von der ganzen
Sache? Nein, die letzte Frage konnte sie streichen. Das würde sie erst dann
herausfinden, wenn es dem Ex-Kapitän passte.
Viel ergiebiger war im Moment die
Frage, was überhaupt mit Caravan los war. Natürlich wünschte sie sich nicht,
dass die Kugel ihn getötet hätte – aber das wäre weniger unheimlich
gewesen. Jemand hatte seinen Körper verändert, dort unten auf Archensee. Es war
noch nicht abzusehen, wie weit diese Veränderung reichte. War Caravan überhaupt
noch
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