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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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und fühlte mit Sicherheit, dass der Crew tot war.
    Seine Hände ballten sich zusammen
und ein gequältes Geräusch kam aus seiner Kehle. Er konnte das nicht noch
einmal durchstehen. Es war erst ein paar Wochen her, dass er nach Caravans
‘Tod’ vor Schmerz und Schuld fast wahnsinnig geworden war. Im Geist hatte er
die Leiche seines Getrauten vor sich gesehen, tagelang, genau wie jetzt Bijou.
Er ertrug es nicht, schon wieder jemanden zu verlieren. Selbst wenn es nur eine
Partyfreundschaft war, eine simple Sexgeschichte. Er hatte sich nie die Mühe
gemacht, Bijou besser kennen zu lernen – war nur ein paar Mal mit ihm ins Bett
gestiegen und hatte ihn dann gleichgültig fallen lassen. Und jetzt war es zu
spät. Warum musste er immer erst … Bijous Lider flatterten, er öffnete die
Augen einen Spalt und flüsterte: „Rufst du mir jetzt einen Arzt, oder was?“
    Serail war auf den Beinen, bevor
er überhaupt merkte, dass er sich bewegt hatte. Er stürzte auf die Crewpolizei
zu und schrie einige verwirrte Dinge. Sein Normalverstand setze erst Minuten
später wieder ein. Da erklärte der Gildearzt schon: „Es ist nichts Ernstes. Der
Schuss ist unter der Schulter durchgegangen, wahrscheinlich aufs Herz gezielt,
aber weit daneben. Die Wunde bekommen wir in kurzer Zeit geheilt.“
    Bijou … nein, Waterloo wurde auf
eine Trage gehoben und winkte ihm mit zwei Fingern zu, als man ihn durch den
Gang davon rollte.
    Serail schaute ihm wie betäubt
hinterher. Wollten sie beide nicht irgendwo hin? Richtig, sie wollten nach
Hause. Er drehte sich um und schlurfte in Richtung Crewstadt, ohne ein Wort zu
sagen.
    Er fühlten sich noch immer ganz
fahrig und flatterig. Schon zweimal waren jetzt Menschen, die er kannte, knapp
am Tod vorbeigeschrammt. Was würde in Zukunft noch auf ihn warten? Das Universum
kam ihm vor wie ein grausamer Ort voller unsichtbarer Gefahren. In jeder Ecke
konnte ein Verrückter mit einer Pistole lauern. Eine herabstürzende Deckenverkleidung
konnte seinen Getrauten unter sich begraben. Ein Schwerkraftdefekt konnte ihn
vom Boden schleudern und ihm das Genick brechen. Serail hatte sein Implantat
angestellt, so dass er nichts als Metallwände um sich herum sah – Spiegel zu
allen Seiten, mit denen er die Umgebung im Auge behalten konnte.
    „Warum hat der Mann das getan?“,
fragte Caravan schließlich.
    „Wer weiß das schon. Eigentlich
ist es ein Wunder, dass wir uns nicht alle gegenseitig an die Kehle gehen.“
Seine Stimme klang so zynisch, dass er fast selbst dabei erschrak. „Ehrlich,
dieses Schiff ist ein Treibhaus für Psychosen. Es ist eng, es ist laut, niemand
hat etwas Vernünftiges zu tun. Man schlägt die Zeit mit Gildespielchen tot, und
irgendwann fragt man sich, warum man eigentlich noch am Leben bleibt. Oder
warum irgendjemand sonst am Leben bleibt. Dann holt man sich seine
Lieblingswaffe aus dem Recycler, etwas Legales, eine Vibrosäge zum Beispiel,
und sucht sich einen Platz, an dem man wirkungsvoll durchdrehen kann. Das
passiert hier ständig.“
    „Kann man nichts dagegen tun?“,
fragte Caravan. Er hielt seinen Blick angestrengt auf einen Punkt genau vor
seinen Fußspitzen gesenkt.
    „Doch natürlich. Wenn mir alles
zu viel wird, koppele ich mich bei den Illusionisten in die Stromdateien ein.
Es gibt nichts Entspannenderes als Synästhesie: Man schaltet seine verschiedenen
Sinne zusammen, lässt Geruch, Geschmack, Gefühl verschmelzen. Man sieht Klänge,
hört Farben als wären sie Musik und lässt sich mit beruhigenden Reizen
überfluten ...“ Serails Stimme wurde heiser vor Verlangen. „Du kannst dir nicht
vorstellen, wie es ist, das Blau eines Sommerabends schmecken zu können, den
Duft von Violinenstimmen zu berühren wie den Körper eines Geliebten –“
    „Davon hat Randori mir erzählt.
Sie hat gesagt, es macht süchtig, und ich soll es besser nicht ausprobieren.“
    „Ja, das hast du mir früher auch
immer gepredigt, vor deinem Unfall. Sehr vernünftig, aber manchmal gibt es Situationen,
die erträgt man eben nicht anders.“
    „Wenn du das sagst.“
    „Okay, ich ertrage sie
nicht anders. Fang bloß nicht an, den Allwissenden herauszukehren. Du hast doch
überhaupt keine Ahnung!“ Serail verschränkte die Arme und schwieg, überzeugt davon,
dass sein Getrauter ihn zum Weitersprechen bewegen würde.
    Aber Caravan kannte die
Spielregeln nicht mehr. Nichts geschah, bis Serail einsah, dass er die
beleidigte Stille selbst beenden musste. Er räusperte sich verlegen und

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