Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)
er Recht hatte. „Stört Sie das?“
Bei angeschaltetem Strom flogen sie
nicht länger durch den Weltraum, sondern durch ein weihnachtliches
Schneegestöber. Aus dem Shuttle, in dem sie saßen, war ein fliegender
Rentierschlitten geworden. Silberne Glöckchen schellten im Rhythmus der
Huftritte, während die Zugtiere von Wolke zu Wolke tänzelten. Ganz vorne im
Gespann lief – wie konnte es anders sein – Rudolf mit der roten Nase.
Randori blinzelte sich zurück in
die Realität. Caravan starrte blicklos ins Leere und murmelte etwas vor sich
hin. Er sah unglaublich angespannt aus. Seine Hände waren zu Fäusten geballt,
die Adern in seinem Hals traten hervor. „Caravan, geht es dir nicht gut?“,
fragte sie besorgt und vergaß ganz, ihn weiterhin zu siezen.
„Ich befinde mich in beiden Ebenen
gleichzeitig“, sagte er mühsam. „Das ist ein anstrengender Zustand.“
Randori brauchte eine Sekunde, bis
sie begriff, was er meinte. Natürlich, er hatte bei der Verwandlung erneut sein
Implantat verloren. Das Gerät gehört nicht zu Caravans genetischem Bauplan,
also konnte der Gestaltwandler es nicht herstellen. Wie beim ersten Mal, als
man ihn an Bord brachte, war er im Strom gefangen und hatte keine Möglichkeit,
sich hinauszublinzeln. Randoris Beschützerinstinkte erwachten. „Wird das jedes
Mal passieren, wenn du dich verwandelst? Wir können dir doch nicht ständig ein
neues Implantat einoperieren.“
Seine angespannte Miene lockerte
sich zu einem Lächeln. „Mach dir nicht so viele Sorgen, Randori“, sagte er
amüsiert. „Gib mir nur etwas Zeit.“
Er schloss die Augen, und ein
Ausdruck totaler Konzentration trat auf seine Züge. Randori verbiss sich
weitere Fragen. Sie wollte ihn nicht stören – was auch immer er da tat.
Einige Minuten später blinzelte er
mehrmals prüfend und entspannte sich. „So ist es besser.“
Randori starrte ihn an. „Du bist
aus dem Strom raus? Das ist einfach nicht möglich. Wie hast du das gemacht,
ohne Implantat?“
„Es ist eigentlich recht einfach.
Dazu musste ich nur Caravans Gehirn anders verdrahten. Ich habe sein visuelles
Zentrum zusammen mit der cerebralen ...“
„Du meinst, du besitzt jetzt ein
anderes Gehirn?“
Er zuckte mit den Schultern. „Du
brauchst nicht so schockiert auszusehen, das ändert nichts an Caravans
Denkweise. Ich mag ihn so, wie er ist.“
„Das ändert nichts an seiner
Denkweise“, wiederholte Randori ungläubig. „Du baust in dem Körper, in dem du
lebst, einfach sämtliche Synapsen um und sprichst davon, als hättest du ein
paar Stromkabel verlegt. Und wieso redest du von Caravan in der dritten Person?
Ich meine, es handelt sich hier nicht um sein Gehirn, sondern um deines .
Vor mir sitzt jemand, der aussieht wie Caravan, seine Gene hat, seine
Körperchemie, seine Emotionen – und das bist du.“
„Ja und nein.“
Randori rollte frustriert mit den
Augen. „Ich liebe klare Antworten.“
„Du denkst in Gegensatzpaaren“,
stellte Caravan fest. „Schwarz und weiß, gut und böse, menschlich und
unmenschlich. Das ist ein Ergebnis der Evolution. Ihr mögt klare Kategorien,
und was sich nicht in eine Schublade einordnen lässt, das stört. Aber für mich
ist alles vage und fließend, in ständiger Verwandlung.“ Caravans Gesicht wurde
durchscheinend, ähnelte einer Maske aus Rauchglas, hinter der sich andere
Formen verbargen und seine menschlichen Züge wie geisterhafte Strombilder
überlagerten: feuchte Schuppenhaut, ein Stirnband aus Facettenaugen … Dann
setzte der Flieger mit einem Ruck auf dem Boden auf, und Caravan wurde wieder
er selbst.
Lazarus kam von der Pilotenbrücke
herunter und gesellte sich zu ihnen. „Ich werde Serail zur medizinischen
Station bringen. Ihr beide habt euch bestimmt noch viel zu erzählen.“ Er
aktivierte die Krankenliege, die sich schwebend in die Luft erhob und durch ein
paar Berührungen gelenkt aus der Tür flog.
Caravan schaute diesem plötzlichen
Abgang erstaunt hinterher. „Wie rücksichtsvoll“, sagte er zweifelnd.
Randori grinste. „Er will
Informationen, darum lässt er uns allein. Du sollst mir dein Herz ausschütten,
Alien. Unser Ex-Kapitän weiß, dass du ihm nicht über den Weg traust.
Dagegen bin ich schließlich deine älteste und beste Freundin.“
Caravan lächelte. „Aber ja.“
„Dann erzähl mir alles über dein
Leben, außerirdischer Spion.“
Sie traten auf den Gang, der zu
ihrer Kabine führte, und das alltägliche Treiben der Arche nahm sie in
Weitere Kostenlose Bücher