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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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eine andere zu
ersetzen. Das ist ein absolut grauenvoller Gedanke. Aber du tust das freiwillig,
du tauschst ständig Bestandteile deines Ich aus, ohne zu wissen, wer du
hinterher sein wirst. Du stellst dich als Säule in einen Korallenwald und lässt
dich überraschen, ob du als Philosoph oder als Killer wieder herauskommst.
Welches von beidem du hinterher bist, scheint dir völlig egal zu sein. Und wenn
du mich fragst, ob der Philosoph und der Killer dieselbe Seele haben ... Ich
weiß es wirklich nicht.“
    Caravan zuckte mit den Schultern.
„Wir leben beinahe ewig. Das ist einfach zu viel Zeit, um unverändert zu
bleiben.“ Er versuchte ihre Worte in seine Erfahrungen einzupassen, aber es
gelang ihm nicht. Selbst während er sich für einen Menschen hielt, hatte er nie
dieses Gefühl eines klaren, unverwechselbaren Ich gehabt, das sie beschrieb.
Aber wenigstens hatte Randori indirekt seine Frage beantwortet. „Ich sollte mir
wirklich einen anderen Körper erschaffen, nicht wahr? Der Doppelgänger eines
Toten kommt dir anstößig vor, so als würde ich Caravan seine Einmaligkeit
stehlen. Ich muss mir einen eigenen Körper entwerfen, der mir allein gehört,
anstatt mir die Identität eines Verstorbenen zu leihen. Kann ich deine DNA
benutzen und sie in Caravans einkreuzen?“ Er streckte seine Hand aus, um
Randori in die Schulter zu stechen, und war überrascht von ihrer heftigen
Reaktion.
    „Nein!“ Sie schlug seinen Arm
beiseite. „Ganz sicher nicht!“
    „Entschuldige“, sagte er verwirrt.
„Ich habe gerade deine Privatsphäre verletzt, oder?“
    „So kann man das ausdrücken. Du
hast nichts begriffen, oder? Ich mag den Gedanken überhaupt nicht, meine
Wohnung mit einer zweiten Randori zu teilen. Such dir jemand anderen.“ Sie wies
mit einer ausholenden Bewegung auf das kostümierte Gedränge der Camelots.
    Caravan runzelte die Stirn. „Du
selbst stößt mich zurück, aber du hast nichts dagegen, wenn ich mir einen
Passagier nehme?“
    „Ich bin Politikerin. Ich habe
eine praktische Einstellung zu Moralfragen.“
    Caravan lachte. „ Das begreife ich sehr gut.“
    Sie hob mit einem schiefen Lächeln
die Schultern. „Du bist ein Regierungsgeheimnis. Ich hoffe, das bleibst du noch
eine Weile. Aber wenn man uns beide zusammen entdeckt – den Matrosen mit
mysteriösem Gedächtnisverlust und die Kapitänin – könnte die Geschichte von Caravans
‘Unfall’ wieder hochkochen. Es gab damals genug Gerüchte über Aliens, und ich
hatte ziemliche Mühe, sie zu zerstreuen. Also fände ich es tatsächlich
angenehmer, wenn du dich in jemand Unauffälligen verwandelst, bevor ich bei
Newton meinen Schleier lüften muss.“
    „Mir soll es Recht sein.“ Caravan
schaute über die Marktstraße hinweg. Er schob seine menschliche Persönlichkeit
beiseite und ließ Bladerunners Jagdinstinkte in den Vordergrund treten. Kühl
musterte er die Vorüberkommenden, und nach kurzer Zeit entdeckte er eine Beute,
die ihm gefiel.
    Er schlenderte aus seiner Ecke
heraus und bewegte sich mit der selbstbewussten Rücksichtslosigkeit, die
typisch für die Crew war. Die Frau kam ahnungslos auf ihn zu. Er wanderte an
den Ständen vorbei, bahnte sich einen Weg durch die Menge, ohne nach rechts und
links zu schauen, bis er mit ihr zusammenstieß. „Oh, verzeiht“, sagte er
galant, wie es sich laut Camelot-Literatur gehörte, und legte seine Hand kurz
auf ihre Schulter. Der Einstich seines Fingernagels ging in dem Schmerz der
leichten Prellung unter. „Habe ich Ihnen ein Leid getan?“
    „Nein, ist schon gut.“ Die
zierliche Frau in königsblauer Hoftracht runzelte die Stirn und massierte sich
die schmerzende Stelle. „Bei diesem Gedränge lässt es sich kaum vermeiden, dass
man ständig jemanden niederläuft. Sie sind Crew, oder?“
    „Ich kann es nicht leugnen.“
Caravan verneigte sich.
    „Schon vergeben. Es ist nett,
einen Crew zu treffen, der sich wie ein Kavalier benimmt.“ Sie nickte ihm zu
und ging mit leichten, tänzerischen Schritten davon.
    Caravan sah ihr nach, bis sie an
einer Silberschmiede stehen blieb und mit dem Künstler zu handeln begann. Sie
hatte den belanglosen Zwischenfall bereits vergessen. Er wandte sich ab und
steuerte auf eine öffentliche Toilettenkabine zu, um seine Verwandlung zu
beginnen.
    Caravan trat in den kleinen
gekachelten Raum, schloss die Tür hinter sich ab und schaute in den Spiegel.
Konzentriert verflüchtigte er die obersten Zellschichten, und seine
Gesichtszüge glätteten sich zu einer

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