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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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den
Burghof. Das Tier war so real, dass die Zuschauer erschrocken zurückfuhren, als
es einen Feuerstoß in ihre Richtung spie. Selbst Dschinn blinzelte kurz, um
sich zu versichern, dass der Drache nur im Strom existierte. Tatsächlich war
der Platz bis auf den dramatisch gestikulierenden Newton völlig leer. Die
Bankettgäste hatten sich nun ebenfalls an diese Tatsache erinnert, sie setzten
sich verlegen und mit nervösem Gelächter wieder hin.
    Dschinn stellte sich auf die
Zehenspitzen, um das Tier besser sehen zu können. Kurz überlegte sie, ein paar
Zentimeter zu wachsen und über die Menge hinzuwegschauen, aber entschied, dass
es zu auffällig war. „Drachen haben eine seltsame Anatomie“, stellte sie sachkundig
fest. „Das Tier muss sehr leicht sein, wenn es von diesen schwachen Flugmuskeln
getragen werden kann. Und wie entzündet es seine Feuerflamme, ohne dass ...“
    „Drachen sind mythologische
Figuren“, klärte Randori sie auf. „Es hat sie nie wirklich auf der Erde
gegeben.“
    „Ach, tatsächlich? Als ich eben im
Strom nachgeblättert habe, bin ich auf ganze Datenberge gestoßen, mit
Kochrezepten für Drachenleber, Stammbäumen von Drachengeschlechtern und Lehrtexten
über die besten Lanzen zum Drachentöten. – Wenn ihr Geschichten erfindet, macht
ihr es gründlich, oder?“ Sie schüttelte den Kopf, so dass ihr die schwarzen
Haare ins Gesicht flogen.
    Randori lachte. „Stimmt. Es gibt
auch Wörterbücher für Elbisch, und im Mittelalter wurden Glaubenskriege darüber
ausgetragen, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen. Wir nehmen unsere
Gedankenschöpfungen eben ernst. Hier an Bord kann sowieso keiner mehr sagen, wo
der Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fantasie ist.“
    Newton hatte währenddessen einen
Ritter in schimmernder Rüstung hervorgezaubert, der dem Drachen angriffsbereit
gegenüberstand. Der Held spornte sein Pferd zur Attacke, und auf dem Burghof
entbrannte ein wütender Kampf. Mit lauten Anfeuerungsrufen verfolgten die
Bankettgäste, wie der Drache sich in die Luft erhob und auf den Ritter zuraste.
Wirbelnde Flügelschläge peitschten den Staub hoch und brachten die vordere
Zuschauerreihe zum Husten. Das Pferd des Reiters bäumte sich auf, und die Lanze
traf ihr Ziel. Der Drache wurde zurückgeworfen, grünes Blut tropfte aus dem
geschuppten Leib. Aber das Tier wurde dadurch nur rasender. Es schien die Wunde
kaum zu bemerken, griff ein zweites Mal an – und packte den Ritter mit seinen
Klauen. Es hob den hilflosen Menschen in die Luft, schnappte ein paar Mal mit
den Zähnen zu und ließ dann los. Der blutige Körper fiel mit einem Klatschen
vor Newtons Füße. Im Hof herrschte Totenstille.
    Randori kicherte unterdrückt. „Ein
ziemlich unerwartetes Ende. Ich habe Newtons schwarzen Humor schon immer
gemocht.“ Zögernd erhob sich Beifall in der Menge.
    Der Designermeister machte eine
spöttische Verbeugung, die ihm trotz seiner Leibesfülle elegant gelang, und der
Drache verpuffte ins Nichts.
    Randori stieß einen bedauernden
Seufzer aus. „Die Vorstellung ist vorbei. Jetzt ist es wohl an der Zeit, sich
mit ernsthaften Problemen zu beschäftigen. Willst du mich begleiten? Gut, dann
sollte ich dir kurz die Spielregeln erklären.“ Sie musterte die Personen auf
der Adelstribüne, die den zurückkehrenden Zauberer gerade mit höflichem Lob
empfingen. „Also, der König hier ist nicht der Gildenmeister aller Camelot,
sondern herrscht nur über die Mitglieder in Passagierstadt 61 und trägt daher
den Titel Artus LXI. Es reicht, wenn du ihn mit einem kurzen Hofknicks begrüßt,
aber sprich nur, wenn er dich anredet. Die Königin erhält nach dem Knicks einen
Handkuss auf ihren Siegelring. Als dritte und letzte Person wäre da noch Page
Ivanhoe. Das ist eine etwas heikle Angelegenheit.“
    „Ein Page?“, fragte Dschinn überrascht.
„Das klingt nicht nach einem wichtigen Rang.“
    „Nein, aber der König lebt mit ihm
in Hoher Minne, daher sollte er mit Respekt behandelt werden. Zur ritterlichen
Lebensart gehört es, dass man eine Vernunftehe führt und daneben eine
Minnebeziehung. Man liebt sich aus der Ferne, schreibt sich Gedichte, singt
schmachtende Lieder voller keuscher Anbetung ... Mich würde das ja verrückt
machen, aber die Camelots finden es romantisch.“
    „Hm. Für mich klingt es ganz
hübsch, angebetet zu werden.“ Dschinn versetzte ihr weißes Kleid in eine
kokette Schwingbewegung.
    „Dann habe ich die Gildegesetze
wohl nicht deutlich genug

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