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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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und näherten sich dann wieder ihrer
gemeinsamen Achse. Randori sagte: „Ich habe gerade überlegt, ob wir einen
Abstecher zu den Schamanen machen sollten, aber ich halte mich wohl besser an
meinen Plan. Zuerst ist Newton an der Reihe. Das letzte Gespräch mit ihm
bestand aus lauter ausweichenden Floskeln. Damit ist jetzt Schluss. Ich will
endlich ein paar klare Antworten.“ Sie griff nach der links auftauchenden
Stange und stieß sich energisch davon ab. „Deshalb sind wir auf dem Weg zum
Artushof. Newton ist laut Stromkalender zu einem Bankett der Camelot-Gilde
eingeladen.“
    Caravan nickte und lud
Informationen zum Stichwort ‘Camelot’ herunter. Aber er bekam nur eine
verwirrende Anzahl literarischer Zitate eingespielt, mit denen er wenig
anfangen konnte. Die Umgebung um ihn herum veränderte sich schlagartig, als er
in den Stromraum wechselte. Der Metalltunnel löste sich auf, und er fand sich
in einer pulsierenden Blutader wieder. Dumpfe Herzschläge klangen von weit her
durch die Plasmaflüssigkeit. Der Mensch in ihm empfand das Geräusch als
entspannend.
    Blutkörperchen schwammen vorüber, von
denen jedes einen Passanten im Verkehrsfluss symbolisierte. Caravan veränderte
seine Wahrnehmung und ließ das Strombild durchscheinend werden, so dass er
beide Realitätsebenen gleichzeitig sehen konnte. Die Griffstangen waren als
Ketten leuchtender DNA-Stränge markiert. Caravan erkannte das Genmuster der
menschlichen Herzschlagfrequenz. Randori pendelte als weißer Leukozyt vor
seiner Nase. Caravan stellte fest, dass sich der Designer einen kleinen
privaten Scherz erlaubt hatte. Alle Passanten weiblichen Geschlechts waren im
Strom genau wie die Kapitänin zu ‘Fresszellen’ mutiert. Offenbar war das
Ambiente von einem Mann entworfen worden.
    Er reihte sich wieder in die Spur
hinter Randori ein. Solange er ihre Bewegungen kopierte, konnte er seine
Gedanken schweifen lassen. Ziellos ließ er seine Blicke über die fliegende
Menschenmenge gleiten. Dabei wurde ihm plötzlich bewusst, dass niemand außer
ihm dieses Doppelbild sehen konnte. Alle anderen befanden sich entweder in
einer Metallröhre oder in einer Blutader, aber nicht an beiden Orten zugleich.
Unwillkürlich musste er an Serail und seine Illusionisten-Gilde denken. Mit
ihren Rauschgiftträumen und Außerkörper-Ritualen strebten sie genau den Zustand
an, den Caravan so beiläufig erzeugt hatte: die Vermischung der zwei
Wirklichkeitsebenen, den gleichzeitigen Blick auf die Realität und den Strom.
Vermutlich benebelte sich Serail gerade jetzt mit jeder Droge, die er finden
konnte. In Caravan verkrampfte sich alles. Wer konnte wissen, was Serail anstellen
würde, um seinen Schmerz zu betäuben? Am wahrscheinlichsten war, dass er in
ihrer früheren Wohnkabine lag und sich mit Synästhesie-Programmen den Verstand
ruinierte. Caravan kämpfte gegen den Drang an, auf der Stelle umzukehren und
seinen Getrauten zu beschützen. Damit würde er alles nur noch schlimmer machen.
Serail war schon traumatisiert genug. Es würde ihm nicht helfen, wenn sein
toter Geliebter vor der Tür stand.
    Er wäre beinah in Randori
hineingeschleudert, (der zweite Verkehrsunfall an diesem Tag), als sie beim
nächsten Stangenkontakt ihre Flugbahn änderte. „He, ich habe doch gesagt, wir
müssen gleich abbiegen!“ schimpfte die Fresszelle.
    Caravan konzentrierte sich wieder
auf seine Fortbewegung. „Tut mir leid, ich war mit meinen Gedanken woanders.“
    „Das habe ich gemerkt.“ Sie drehte
sich im Schwebflug auf den Rücken und zeigte an die Decke. „Dort oben – oder
genauer gesagt, dort unten – ist die Abbiegespur. Wir müssen die Flugbahn
wechseln, ohne den Verkehrsfluss zu unterbrechen. Pass also auf, was ich tue,
ok?“
    „Ja, natürlich, ich schaffe das
schon.“
    Randori schnaubte. „Klar. Dann mal
los.“ Auf den nächsten paar hundert Metern beschleunigte sie, schwang sich dann
plötzlich mit einer akrobatischen Drehung um ihre Stange herum und flog beim
Loslassen fast senkrecht nach oben. Ihre Flugbahn zielte auf eine ganz außen
liegende Überholspur. Dort angekommen fing sie sich ab, wiederholte die
turnerische Drehbewegung, so dass sie wieder in der Waagerechten lag, und
fädelte sich reibungslos in den Menschenstrom ein. Caravan hatte sie
konzentriert beobachtet und folgte ihr fast augenblicklich. Wie erwartet
funktionierte der Spurwechsel reibungslos.
    Randori rief ihm über die Schulter
zu: „Siehst du das Schleusentor? Es ist schon ziemlich nah, nur

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