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Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition)

Titel: Die fünf Seelen des Ahnen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Nolte
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das Gesprächsthema
als Vertrauensbruch betrachten?
    Aber der Gestaltwandler hatte im
Moment andere Probleme. Dschinn lag als eine knochenlose Hülle auf dem Rücken.
Sie sah aus wie eine Gummipuppe, aus der man die Luft gelassen hatte. Ihre
Lungen schienen bei jedem Atemzug den ganzen Körper auszubeulen. Randori
räusperte sich und fragte vorsichtig: „Äh, wie geht es dir?“
    „Besser als es ausschaut“, sagte
Dschinn. Eine Wellenbewegung lief durch ihre Gestalt, und Teile von ihr lösten
sich in dickflüssigen Nebel auf. Falls Randori das Prinzip richtig verstand,
erschuf Dschinn ihre Hüllenkörper auf ähnliche Art wie die Recycler Konsumgüter
herbeizauberten. Sie sammelte Atome zusammen und verkettete sie miteinander,
bis sie die gewünschte Form bildeten. Doch jetzt besaßen Dschinns Kernzellen
durch die unaufhörlichen Verwandlungen zu wenig Energie, um eine dauerhafte
Materiebindung für einen Körper dieser Größe herzustellen. Dschinn musste sich
erst erholen und gewissermaßen wieder aufladen.
    Randori schaute aus den
Augenwinkeln zu Nachtigall hinüber. Die Ärztin starrte mit offenem Mund auf die
unheimliche Erscheinung. Es war ein gewaltiger Unterschied, ob man nur eine
Sammlung exotischer Tiere im Zimmer auftauchen sah oder eine durchlöcherte
junge Frau. Aber die Ärztin ließ sich nicht lange beirren. „Wenn ich eine
Methode erfinde, Kernzellen zu identifizieren“, brachte sie hervor, „werden Sie
sich dadurch bedroht fühlen?“
    Dschinn kam unsicher auf die Füße.
„Darf ich mir erst etwas anziehen?“, fragte sie zurück. Ihr Körper hatte endlich
normale Formen angenommen, und nun wurde die nackte Haut von oben nach unten in
ein weißes Kleid eingesponnen. Das Gesicht zwischen dem schwarzhaarigen Pagenschnitt
wirkte blasser als gewöhnlich. Anscheinend hatte sie Mühe, den Blutfluss
richtig lenken. „Um Ihre Frage zu beantworten“, sagte sie, „als Mensch bin ich
der Meinung, dass sich jede wissenschaftliche Entdeckung missbrauchen lässt. “
    Randori scheuchte die Ärztin aus
ihrem Korbstuhl. „Wir haben hier eine Patientin, Doktor. Dschinn sollte sich
hinsetzen, bevor sie umkippt.“
    Nachtigall wurde rot. „Tut mir
leid, die Situation ist so seltsam, dass ich …“
    „Schon gut.“ Sie schob Dschinn den
Bambussessel hin. „Du wirst dich jetzt erst einmal erholen. Vergiss die
Politik.“
    Dschinn lachte und ließ sich auf
den Sitz fallen. „Ich kann nicht glauben, dass ausgerechnet du das sagst. Aber
nein, es geht schon. Ich kann verstehen, dass ihr eine Massenpanik befürchtet,
schließlich bin ich ein sehr unheimliches Phänomen, nicht?“ Sie plinkerte mit
ihren großen blauen Mädchenaugen.
    Randori räusperte sich. „Um ehrlich
zu sein, das bist du wirklich.“
    Dschinn seufzte und nickte. „Ja,
ich weiß. Und ich würde mich nicht sträuben euch zu helfen, aber jede Erfindung
hat zwei Seiten, richtig? Sie kann immer zu einem Werkzeug oder zu einer Waffe
weiterentwickelt werden. Diese Überzeugung hat sich jedenfalls bei den Menschen
über Zehntausende von Jahren festgesetzt. Und ich teile nun diese Erfahrung,
vom ersten Faustkeil bis zur Nanospaltung. Mit anderen Worten,
wissenschaftliche Forschung ist nie ungefährlich, selbst wenn sie mit den
besten Absichten begonnen wurde.“
    Dschinn schien ihren Körper nun
ganz und gar unter Kontrolle zu haben. Bis eben war sie noch von einem Hauch
Unwirklichkeit umgeben gewesen, doch nun wirkte sie vollkommen normal. Als
Randori genauer darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass Dschinn die ganze
Zeit die Augen offen gehalten hatte, ohne wie jeder Mensch mit den Lidern zu
blinzeln. Erst jetzt hatte sie genug Energie, um sich auch um solche
verräterischen Details zu kümmern.
    Dschinn hatte den aufmerksamen
Blick der Kapitänin anscheinend richtig gedeutet, denn sie blinzelte Randori mit einem kurzen Lächeln zu. Dann richtete sie ihren intensiven Blick
wieder auf die Ärztin. „Sie müssen entschuldigen, wenn ich mich umständlich
ausdrücke. Aber bis vor kurzem hatte ich keine Vorstellung davon, was ein
‘Werkzeug’ oder ein ‘technisches Gerät’ überhaupt ist. Jetzt soll ich plötzlich
abschätzen, ob diese geplante Kernzellenerkennungsmaschine zu einer Gefahr für
mich werden könnte.“
    Nachtigall war fasziniert. „Keine
Werkzeuge? Das wirft die meisten Theorien der Evolutionsforscher über den
Haufen. Die Lehrmeinung ist, dass die Entwicklung von Intelligenz und Kultur
fast zwangsläufig mit dem Gebrauch

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