Die Fünf Tore 1 - Todeskreis
er und streckte seine schmutzige Hand aus.
Mrs Deverill ignorierte ihn. Sie sah Matt an. »Das ist Noah.«
Matt sagte nichts. Noah musterte ihn auf eine Weise, die ihm nicht gefiel.
»Herzlich willkommen in Yorkshire«, sagte Noah. »Es freut mich, dich kennenzulernen.« Er streckte seine Hand aus. Die Finger waren kurz und fett, die Nägel mit Schmutz verkrustet. Matt rührte sich nicht.
»Noah arbeitet für mich auf der Farm«, erklärte Mrs Deverill. »Er ist nicht besonders redegewandt, also verschwende deine Zeit nicht damit, mit ihm zu sprechen.«
Der Landarbeiter starrte ihn immer noch an. Sein Mund war offen, und ihm hing Spucke am Kinn. Matt wandte sich ab.
»Steig ins Auto«, befahl Mrs Deverill. »Es wird Zeit, dass du dein neues Heim siehst.«
Sie fuhren eine Stunde lang, erst auf einer zweispurigen Straße, dann auf einer Nebenstrecke und schließlich auf einer gewundenen Landstraße. Je weiter sie kamen, desto öder wurde die Landschaft. Lesser Malling schien irgendwo am Rand der Moore von Yorkshire zu liegen, doch Matt konnte kein einziges Hinweisschild entdecken. Er fühlte sich jetzt noch schlechter als vorher und fragte sich, ob das an Noahs Fahrstil lag oder ob er sich irgendein Virus eingefangen hatte.
Sie kamen an eine Kreuzung aus fünf Straßen, die absolut identisch aussahen. Überall waren Bäume. Matt hatte nicht gemerkt, dass sie in einen Wald gefahren waren, doch plötzlich waren sie mittendrin. Der Wald war offensichtlich erst vor Kurzem angepflanzt worden. Alle Bäume – Matt vermutete, dass es sich um Tannen handelte – waren gleich hoch, hatten die gleiche Farbe und standen in akkuraten Reihen mit immer gleichem Abstand zueinander.
In welche Richtung Matt auch schaute, er sah überall dasselbe.
Er musste wieder daran denken, was die Sozialarbeiterin in London gesagt hatte. Das FED-Programm schickte ihn aufs Land, damit er nicht den Versuchungen der Großstadt ausgesetzt war. Eine abgelegenere Gegend hätten sie wirklich nicht finden können.
An der Kreuzung stand ein Hinweisschild, aber es war abgebrochen. Der gesplitterte Pfahl war alles, was davon übrig war.
»Lesser Malling liegt zehn Minuten in diese Richtung«, sagte Mrs Deverill und zeigte nach links. »Ich werde es dir zeigen, wenn du dich ein bisschen eingelebt hast. Wir wohnen in der anderen Richtung.«
Noah drehte das Lenkrad, und sie folgten einer der anderen Straßen noch ein Stück weit, bis sie an ein Tor kamen. Matt konnte den mit brauner Farbe ans Tor geschriebenen Namen erkennen: Hive Hall. Dann fuhren sie einen Sandweg zwischen zwei Stacheldrahtzäunen entlang, der sie auf einen Hof mit Scheunen und anderen Gebäuden führte. Noah hielt an. Sie waren da.
Matt stieg aus.
Es war ein fürchterlicher Ort. Das schlechte Wetter half nicht gerade, aber selbst bei strahlendem Sonnenschein hätte Hive Hall kaum besser ausgesehen. Das Wohnhaus war aus großen Steinblöcken erbaut und hatte ein Schieferdach, das unter dem Gewicht des riesigen Schornsteins nachzugeben schien. Die Nebengebäude bestanden aus Brettern, die so alt und feucht waren, dass sie schon halb verrottet waren. Dunkelgrünes Moos überzog sie wie eine Krankheit.
Der Hof selbst war annähernd rechteckig und vollkommen aufgeweicht. Hühner humpelten darauf herum. Sie hatten sich kaum die Mühe gemacht, den Rädern des Landrovers auszuweichen. Sechs Schweine standen zitternd im Schlamm.
»Das ist es«, sagte Mrs Deverill, als sie ausstieg und ihre Beine streckte. »Es sieht vielleicht nicht nach viel aus, aber es ist mein Zuhause, und mir ist es gut genug. Natürlich gibt es hier keine Computerspiele. Und keinen Fernseher. Aber wenn du erst mit der Arbeit anfängst, wirst du für diese Dinge ohnehin zu müde sein. Auf dem Land gehen wir früh zu Bett. Du wirst dich bald an unsere Lebensweise gewöhnen.«
Sie betraten das Haus. Durch die Haustür kam man in eine große Küche mit einem Steinfußboden. In einer Ecke war der altmodische Herd, über dem Töpfe und Pfannen hingen, und auf hölzernen Regalen standen unzählige Gläser und Flaschen. Mrs Deverill führte Matt in ein Wohnzimmer mit alten, verschlissenen Möbeln und Regalen voller angestaubter Bücher. Über dem Kamin hing ein riesiges Gemälde, das aussah, als zeige es Mrs Deverill, obwohl es vor vielleicht fünfhundert Jahren gemalt worden war. Die Frau auf dem Bild hatte dieselben grausamen Augen und dieselben eingefallenen Wangen. Nur das Haar war anders, es war länger und
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