Die Fünf Tore 1 - Todeskreis
du zu dieser Frau gekommen bist, dieser Mrs Deverill.«
Matt schaute weg.
»Du kannst es mir ebenso gut jetzt erzählen«, fuhr Richard fort. »Vielleicht hilft es mir, zu entscheiden, was ich tun soll.«
»Willst du mich in deine Zeitung bringen?«
»Das hatte ich allerdings vor.«
Matt schüttelte den Kopf. »Das kannst du vergessen. Ich will nicht, dass über mich geschrieben wird. Mein Leben geht keinen was an.«
»Ich glaube, du vergisst etwas, Matt. Du bist zu mir in die Redaktion gekommen. Du hast mir gesagt, dass du eine Story hast …«
»Ich brauchte deine Hilfe.«
»Vielleicht brauchen wir einander.«
»Ich will aber nicht in die Zeitung.«
»Dann solltest du nicht in meiner Wohnung sein.« Richard stellte seine Bierdose ab. »Also gut, das war nicht fair von mir. Ich werde dich nicht rauswerfen. Jedenfalls nicht heute Nacht. Aber um ehrlich zu sein, kann ich zurzeit wirklich keinen vierzehnjährigen Jungen gebrauchen. Ich sage dir, wie wir es machen. Du erzählst mir deine Geschichte, und ich verspreche dir hoch und heilig, dass sie erst in die Zeitung kommt, wenn du es erlaubst. Einverstanden?«
»Das wird nie passieren«, meinte Matt. Doch er nickte. »Einverstanden.«
Richard griff nach Notizblock und Bleistift, wie er es auch bei ihrem ersten Treffen in der Redaktion getan hatte. Er saß da und wartete.
»Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, sagte Matt. »Aber da du gefragt hast, mein voller Name ist Matthew Freeman. Ich wurde zu Mrs Deverill geschickt, weil ich an etwas teilnehme, das FED-Programm heißt.«
»Das FED-Programm?« Richard blickte auf. »Ist das nicht eine neue bekloppte Idee der Regierung? Irgendein Programm für jugendliche Straftäter?«
»Stimmt. Ich wurde beim Einbruch in ein Lagerhaus geschnappt. Dabei wurde ein Wachmann niedergestochen.«
»Hast du ihn niedergestochen?«
»Nein. Aber ich war dabei, als es passierte. Also bin ich mitschuldig.« Matt zögerte. »Jetzt bist du wahrscheinlich nicht mehr so scharf darauf, mir zu helfen.«
»Wieso? Mir ist es vollkommen egal, was du getan hast. Mich interessiert viel mehr, warum du es getan hast.« Richard seufzte. »Warum fängst du nicht am Anfang an? Dann ist es vielleicht leichter für dich.«
Matt zögerte. Jill Hughes, seine Sozialarbeiterin, hatte ihn immer gedrängt, über sich selbst zu sprechen. »Du musst lernen, Verantwortung für das zu übernehmen, was du bist.« So etwas hatte sie dauernd zu ihm gesagt. Aber je mehr sie ihn bedrängt hatte, desto widerspenstiger war er geworden, und zum Schluss hatte zwischen ihnen nur noch feindseliges Schweigen geherrscht. Und jetzt verlangte dieser Reporter dasselbe von ihm. Hatte er jetzt endlich einen Erwachsenen gefunden, dem man tatsächlich vertrauen konnte? Matt hoffte es, aber sicher war er nicht.
»Ich erinnere mich kaum noch an meine Eltern«, sagte Matt. »Ich hätte nie gedacht, dass das passieren würde. Sie sind vor sechs Jahren gestorben, aber seitdem ist die Erinnerung an sie … irgendwie verblasst. Es ist kaum noch etwas von ihnen übrig. Ich glaube, wir waren glücklich. Wir haben in einer ganz normalen Straße in Dulwich gewohnt. Kennst du das? Es ist im Süden von London. Mein Vater war Arzt. Ich glaube, meine Mutter hat nicht gearbeitet. Wir hatten ein schönes Haus, also nehme ich an, dass mein Vater ganz gut verdient hat. Aber reich waren wir wohl nicht. Das letzte Mal, als meine Eltern mit mir in die Ferien gefahren sind, waren wir zum Zelten in Frankreich. Da muss ich ungefähr sieben gewesen sein.«
»Hast du Geschwister?«
»Nein. Es gab nur uns drei. Und auch kaum Verwandte. Mein Vater stammte aus Neuseeland, und ein paar seiner Verwandten leben heute noch da. Meine Mutter hatte eine Halbschwester namens Gwenda, die in Ipswich wohnt. Sie hat uns ein paarmal besucht, aber die beiden mochten sich nicht besonders. Als ich noch klein war, fand ich Gwenda immer total langweilig. Ich hätte mir nie träumen lassen …«
Matt holte tief Luft.
»Also, meine Eltern starben. Sie wollten zu einer Hochzeit in Oxford fahren. Ich sollte auch mit, aber im letzten Moment fühlte ich mich nicht wohl und blieb deshalb bei der Nachbarin.«
Matt verstummte. Richard spürte, dass er ihm nicht die ganze Wahrheit über diese Hochzeit gesagt hatte. Das konnte Matt ihm ansehen. Aber Richard unterbrach ihn nicht.
»Sie hatten einen Unfall«, fuhr Matt fort. »Als sie über eine Brücke fuhren, platzte ein Reifen. Mein Vater verlor die Kontrolle über
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