Die fünfhundert Millionen der Begum
Man brauchte zwar der gegnerischen Partei das Zugeständniß, zu dem Doctor Sarrasin sich eben in seiner Aufrichtigkeit dem Sollicitor gegenüber herbeigelassen hatte, nicht mitzutheilen…. immerhin existirten noch jene Briefe Jean Jacques Langevols an seine Schwester, deren Herr Schultze erwähnte und welche der Sache offenbar eine ihm günstige Wendung gaben. Stand diese auch auf schwachen Füßen und entbehrten jene Beweisstücke des eigentlichen legalen Charakters, so waren sie doch einmal vorhanden. Aus dem Staube der städtischen Archive würden dann schon noch weitere Beweise ausgegraben werden. Vielleicht ging die gegnerische Partei, wenn ihr authentische Beweise mangelten, sogar so weit, solche zu erfinden. Man mußte eben auf Alles vorbereitet sein. Wer konnte es vorher sagen, ob nicht neue Untersuchungen jener plötzlich wieder auferstandenen Therese Langevol und ihrer Vertreter am Ende gar noch Ansprüche zu Tage förderten, welche denen des Doctor Sarrasin vorgingen?…. Jedenfalls drohten lange Streitigkeiten, endlose Beweisführungen und eine Lösung der ganzen Frage erst in weiter Ferne. Die Wahrscheinlichkeiten, den Proceß zu gewinnen, wögen auf beiden Seiten etwa gleichviel; beiden Parteien würde es nicht schwer fallen, von fremder Hand die nöthige Unterstützung zum Kostenvorschuß zu finden, um alle Hebel in Bewegung zu setzen. Ein berühmt gewordener ähnlicher Proceß hätte im Kanzleigericht volle dreiundachtzig Jahre gespielt und wäre zuletzt nur niedergeschlagen worden, weil die Mittel zu seiner Weiterführung ausgegangen waren; Capital und Interessen – Alles hatte er verschlungen!…. Sachverständigen-Urtheile, Commissionen, Beibringung von Beweisstücken und gerichtliche Proceduren würden einen gar nicht zu bestimmenden Zeitraum beanspruchen!…. Nach zehn Jahren könne die Sache recht wohl noch völlig unentschieden und die halbe Milliarde in der Bank eingeschlafen sein….
Doctor Sarrasin hörte dieser Darlegung ruhig zu. Wenn er auch nicht Alles so fest wie die Worte des Evangeliums glaubte, so bemächtigte sich seiner doch eine Art Entmuthigung. Wie ein Reisender, der vorn auf einem Schiffe steht, wenn er den Hafen, in den er einzulaufen gedachte, plötzlich sich weiter zurückziehen sieht, so trat ihm doch die Möglichkeit vor Augen, daß jenes große Vermögen, welches ihm schon so sicher war, daß er im voraus darüber verfügt hatte, sich gar noch verflüchtigen und ihm noch entschwinden könnte.
»Ja, was ist dann zu thun? fragte er den Sollicitor.
– Was?…. Hm!…« Das war freilich schwer zu sagen. Noch schwieriger, es auszuführen. Immerhin konnte sich ja noch Alles nach Wunsch ordnen lassen. Er, Sharp, hegte wenigstens diese Ansicht. Die englische Justiz war ja ausgezeichnet – vielleicht etwas langsam, das gestand er zu – ja sicher etwas langsam,
pede claudo
…. hm!…. hm!…. aber dafür desto zuverlässiger. Es könnte ja gar nicht fehlen, daß Doctor Sarrasin nach Verlauf einiger Jahre in Besitz jenes Nachlasses kam, vorausgesetzt…. hm!…. hm!…. daß seine Ansprüche wirklich rechtlich begründet wären!….
Der Doctor verließ das Cabinet in Southampton row mit sehr stark erschüttertem Vertrauen und überzeugt, daß er entweder auf eine ganze Serie endloser Processe eingehen oder auf seinen schönen Traum verzichten müsse. Wenn er freilich an sein herrliches Project dachte, so konnte er sich doch einigen Bedauerns nicht erwehren.
Inzwischen bestellte Mr. Sharp den Professor Schultze, der ihm seine Adresse hinterlassen hatte, wieder zu sich. Er theilte diesem mit, daß Doctor Sarrasin niemals habe von einer gewissen Therese Langevol reden hören, daß er ausdrücklich die Existenz eines deutschen Zweiges seiner Familie leugne und jede Vereinbarung ablehne. Es blieb also dem Professor, wenn er sein Recht für begründet halte, nichts übrig als zu »klagen«. Er stehe zwar der Sache ganz ohne eigenes Interesse, mehr als Liebhaber gegenüber und habe gewiß nicht die Absicht, ihn zu irgendwelchen Maßregeln zu überreden. Was könne anderseits ein Sollicitor wünschen, als einen Proceß oder lieber zehn Processe dreißig Jahre hindurch, wie sie diese Nachlaßregelung mit sich zu führen scheine? Er, Sharp, hätte ja alle Ursache, sich darüber zu freuen. Wenn er nicht fürchtete, Professor Schultze einen von ihm verdächtig aussehenden Vorschlag zu machen, könnte er seine Uninteressirtheit wohl so weit treiben, dem Herrn selbst einen seiner
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