Die fünfhundert Millionen der Begum
Herstellung der großen Kaliber sind nur die Arbeiter erster Classe beschäftigt.«
Diese »kleine« Abtheilung hatte immerhin eine Länge von hundertfünfzig Meter bei fünfundsechzig Meter Breite. Sie diente nach Schwartz’ Schätzung zur Erhitzung von mindestens sechshundert Schmelztiegeln, welche, je nach ihrer Größe, zu vier, acht oder zwölf in den Oefen an der Seite Platz fanden.
Die zur Aufnahme des geschmolzenen Stahles bestimmten Gießformen standen in der vertieften Längenachse der Gallerie in einer Reihe hintereinander. An jeder Seite dieses Mittelgrabens erhob sich, auf einem Schienenstrang verschiebbar, ein mächtiger Krahn, dessen Construction jede mögliche Bewegung gestattete, so daß die gewaltigsten Gewichte an beliebiger Stelle durch denselben gehoben und versetzt werden konnten. Ebenso wie in den Puddelhäusern berührte auch hier je eine Eisenbahn das eine Ende der Gallerie, wo dieser die Gußstahlblöcke zugeführt wurden, während eine andere vom entgegengesetzten Ende die aus den Formen hervorgegangenen Kanonen hinwegschaffte.
Neben jeder Gußform stand ein Aufseher mit einer Eisenstange, der die Temperatur des flüssigen Stahles in den Schmelztiegeln zu überwachen hatte.
Das ganze Verfahren, wie es Schwartz schon auch von anderen Orten her kannte, war hier zu höchster Vollkommenheit entwickelt.
Sollte zu einem Gusse verschritten werden, so benachrichtigte ein Glockensignal alle Betheiligten. Mit gleichmäßigen, strengbemessenen Schritten begaben sich die Arbeiter je zwei und zwei von gleicher Größe, eine Eisenstange wagrecht auf den Schultern tragend, nach dem Ofen.
Ein Rottenführer mit einer Schrillpfeife und die Sekundenuhr in der Hand, stand in der Nähe der Gießform, welche möglichst in gleicher Entfernung von allen zu ihrer Füllung nöthigen Oefen angebracht war. Von jeder Seite derselben liefen Rinnen aus feuerbeständigem Lehm und mit Eisenblech überdeckt, in sanfter Neigung bis zu einer, direct über der Gußform befindlichen, trichterförmigen Vertiefung. Der Rottenführer pfiff. Sofort ward ein Schmelztiegel mittelst einer Zange aus dem Feuer gehoben und an die Eisenstange des dem Ofen zunächst stehenden Trägerpaares gehangen. Wieder ertönte die Pfeife in verschiedener Weise und die beiden Männer entleerten den Inhalt ihres Tiegels in die entsprechende Rinne. Dann warfen sie das noch hellglühende Gefäß in eine große Kufe.
Ohne Unterbrechung und in genau eingehaltenen Zeiträumen, um die völlige Gleichmäßigkeit des Gußstückes zu sichern, verfuhren alle Nachfolgenden in ganz derselben Weise.
Die hierbei beobachtete Präcision war eine so außerordentliche, daß der letzte Schmelztiegel genau auf das Zehntel der vorher berechneten Sekunde ausgeleert und in die Kufe geworfen war. Der ganze Vorgang glich weit mehr der Wirkung eines blinden Mechanismus, als der zusammenfallenden Willensäußerung von hundert lebenden Wesen. Eine unverletzliche Disciplin, die Macht der Gewohnheit und der Einfluß, den eine taktmäßige Musik auf Jedermann ausübt, brachten dieses Wunder zu Stande.
Schwartz schien mit diesem Verfahren vertraut zu sein. Er wurde einem anderen Arbeiter von gleicher Größe zugestellt, probeweise bei einem minder bedeutenden Gußstücke beschäftigt und sofort als erfahrener, gewandter Gießer erkannt. Sein Rottenführer versicherte ihm schon am ersten Abend, daß er schnell vorwärts kommen werde.
Sobald er nach Schluß der Arbeit den Sector
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und die äußere Umfassung der Fabrik verlassen, begab er sich nach dem Gasthause, seinen Mantelsack zu holen. Auf einem der Außenwege gelangte er dann bald nach einer schon am Morgen bemerkten Gruppe von Häusern, wo er bei einer braven Frau, welche »Kostgänger aufnahm«, geeignetes Unterkommen fand.
Nach dem Abendessen sah man den jungen Arbeiter nicht, wie es die Uebrigen zu thun pflegten, nach einer Brauerei wandern. Er schloß sich vielmehr in sein Zimmerchen ein und brachte aus der Tasche ein offenbar aus der Puddelhütte heimlich mitgenommenes Stückchen Stahl und ebenso eine kleine Menge feuerfesten Thones aus dem Sector
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, welche er beim Scheine einer rußenden Lampe aufmerksam betrachtete.
Dann entnahm er dem Mantelsack ein großes, schwach eingebundenes Heft, durchblätterte dessen mit Bemerkungen, Formeln und Rechnungen bedeckte Blätter und schrieb das Nachfolgende in gutem Französisch, aus Vorsicht aber in einer ihm allein bekannten Geheimschrift nieder:
»10. November. –
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