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Die fünfte Kirche

Die fünfte Kirche

Titel: Die fünfte Kirche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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und konnte genau sehen, was geschah. Betty Thorogood zuckte zusammen, warf dann ihre üppige Mähne zurück und presste geistesabwesend ein Wort heraus.
    «Äpfel?»
    Mom schauderte; Jane bemerkte ihren jetzt sehr aufmerksamen Blick.
    «Wie bitte?», fragte Mom, als hätte sie nicht verstanden, dabei hatte sie es natürlich ganz genau verstanden.
    Sie und Jane, sie hatten es beide verstanden. Und wussten, wases bedeutete. Einen Moment lang schien die Luft hier oben fast zu dick zum Atmen zu sein.
    «Entschuldigung», sagte Betty. «Ich hatte nur   … Entschuldigung   … es tut mir leid.»
    Jane kam vier Stufen höher. «Sie haben Äpfel gespürt?»
    Mom runzelte die Stirn. «Jane   …»
    «Was für Äpfel?»
    «Ich   …» Betty schüttelte wieder ihren Kopf mit all diesen Haaren. «Nicht unbedingt Äpfel, eher Blüten. Weiße Blüten, wie weicher Schnee.»
    «Oh.» Jane hielt die Luft an.
    «Tut mir leid», sagte Betty. «Es ist mir einfach rausgerutscht.»
    Mom biss sich auf die Lippe.
    «Und wir dachten, Wil wäre
weg
…», sagte Jane.
    Mom machte hektisch überall das Licht an und sagte: «Betty, wenn Sie Ihr Zimmer sehen wollen   …»
    Betty Thorogood nickte und folgte ihr.
    So einfach würde sie nicht davonkommen.
    «Wil war unser Geist», rief Jane ihnen nach. «Wil Williams, der Pfarrer dieser Gemeinde. Wurde 1670 tot im Obstgarten hinter der Kirche gefunden. Hing an einem Apfelbaum – mitten in der Blütezeit.»
    «Es tut mir leid», sagte Betty Thorogood wieder. «Ich hab da so ein Problem.»
    «Wow», sagte Jane mit aufrichtiger Bewunderung. Niemand wusste über die Apfelblüte Bescheid. Nicht mal Kali Drei. «Du bist eine Echte, nicht?»

39
Hexen weinen nicht
    Ihre Tochter brachte ihnen Tee an den Küchentisch und füllte die Küche mit dem verführerischen Duft nach Toast. Es war halb elf. Wenn es nach Jane ging, hatte Betty Thorogood ihre Bewährungsprobe bestanden.
    Merrily hatte aufgehört, sich mit diesen Fragen zu quälen. Wenn es um ein Medium ging, war es reine Zeitverschwendung, nach der irdischen, rationalen Erklärung zu suchen. Das Leben war zu kurz, um es allzu sehr zu hinterfragen, es
war
einfach. In Bettys Fall wäre es allerdings weniger eindrucksvoll gewesen, wenn sie nicht gleichzeitig so geknickt und demoralisiert gewirkt hätte. Als hätte sie in ihre Zukunft geblickt und nichts als ein tiefes, schwarzes Loch gesehen.
    «Ist Wil noch hier?», fragte Jane – sie wusste nichts von dem Tod dieser älteren Frau, Mrs.   Wilshire.
    «Ich meine als Geist, nicht als Abdruck.»
    «Ich weiß es nicht», sagte Betty. «Manchmal ist es schwer zu beschreiben, was ich spüre. Manchmal sind es nur Bilder. Fragmente, unvollständige Botschaften.»
    Die Apfelblüte. Letztes Jahr, als sie eingezogen waren, hatte Merrily in den beiden oberen Stockwerken des Pfarrhauses eine alte Verzweiflung gespürt, den zeitlosen Wahn eingesperrter Gefühle. Jane hatte – unter dem Einfluss von Lucy Devenish, Volkskundlerin und Mystikerin – behauptet, sie hätte die Blüten gerochen und auf ihrem Gesicht gespürt wie warmen Schnee.
    Es war diese nicht von der Hand zu weisende Spukerscheinung zusammen mit der generellen Gleichgültigkeit der Kirche gewesen, die Merrily in die Richtung der spirituellen Grenzfragen gedrängt hatte. Es musste schließlich jemanden geben, der den Leuten versicherte, dass sie nicht kurz davor waren, den Verstand zu verlieren.
    «Waren Sie schon so empfindsam,
bevor
sie zur Hexe geworden sind?», fragte Jane.
    Betty fühlte sich offenbar unbehaglich. «Ich bin erst deshalb dazu geworden. Wenn man den Spiritismus mal außen vor lässt, ist Wicca einer der wenigen Zufluchtsorte für Leute, die   … so sind. Meine Eltern gehören der Anglikanischen Kirche an, die diese Dinge nicht gerade befürwortet.»
    Ein entschuldigender Blick in Richtung Merrily, der Jane, das kleine Biest, gleichzeitig einen triumphierenden Blick zuwarf, bevor sie ihr Verhör gierig fortsetzte: «Aber, wen beten Sie denn dann an?»
    «Das ist vielleicht nicht das richtige Wort. Wir erkennen das männliche und das weibliche Prinzip an und die Gestalten, die sie annehmen. Im Grunde geht es um Fruchtbarkeit, im weitesten Sinne – wir brauchen nicht noch mehr Menschen auf der Welt, aber wir brauchen ein erweitertes Bewusstsein.»
    «Und Sie holen den Mond herunter?» Ihre Tochter demonstrierte, dass sie sich mit dem Hexenjargon auskannte. «Und beschwören die Göttin in sich selbst?»
    «So ähnlich,

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