Die fünfte Kirche
hölzerne Pfähle an der Stelle, an der jetzt die Eiben wuchsen – eine Art Stonehenge aus Holz. Und, ja, es waren hier in vorchristlicher Zeit Menschen begraben worden. George schätzte, dass einst über dreihundert Menschen in dieser Erde bestattet waren. Aber bevordie Kirche das Gelände verkauft hatte, war der Boden ausgehoben und die sterblichen Überreste von Menschen waren woanders begraben worden, es bestand also die Möglichkeit, dass Heiden ein
christliches
Begräbnis bekommen hatten. Diese Schweinehunde von der Kirche waren ja dermaßen arrogant!
Als die Christen nach England gekommen waren, hatte nämlich irgendein besonders schlauer Papst erlassen, dass sie ihre Kirchen dort erbauen sollten, wo bereits Kultstätten existierten. Und zwar aus zwei Gründen: Zum einen würde es die Vorherrschaft der neuen Religion über die alte demonstrieren, und zum andern würde es die Ansässigen vielleicht dazu bringen, weiterhin an denselben Ort zu kommen, um zu beten.
Aber das würde sich alles wieder umdrehen, das würden sie schon noch sehen!
Robin stand unten am rauschenden Wasser, sodass die Kirche und der Burfa-Hügel, auf dem sich in der Eisenzeit eine Siedlung befunden hatte, eine Linie bildeten. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal – außerhalb des Ritus – so erhabene Gefühle gehabt hatte wie jetzt. Es bestätigte natürlich nur, was er sowieso schon gewusst hatte, aber eine Bestätigung war eine Bestätigung! Betty und er hatten hierherkommen sollen, um eine große Tradition wiederzubeleben.
Es ging um die Wiedereinführung des Heidentums.
Sie hatten noch nicht besonders ausführlich über langfristige Pläne gesprochen, aber spätestens nach den Entdeckungen des Wochenendes war klar, dass es sich jetzt darum drehen würde, den Tempel wiederherzustellen, der hier gestanden hatte, bevor es an dieser Stelle überhaupt eine christliche Kirche gegeben hatte. In materieller Hinsicht hatte dieser Prozess schon begonnen: Die Kirche war eine Ruine, und wenn es so weiterging, würde eines Tages nur noch der Turm übrig bleiben … wie ein einzelner großer, aufrecht stehender Stein.
Wunderbar!
Warum glühte Betty also nicht vor Begeisterung wie er? Warum war sie im Moment so verdammt mürrisch? Lag es an der kleinen Kiste? Er hatte George und Vivvie von der Kiste und ihrem Inhalt erzählen wollen, aber Betty hatte ein Riesentheater gemacht und ihn beschworen, nichts zu sagen. «
Das geht niemanden etwas an. Das ist eine Sache zwischen uns und
denen.
Wir müssen allein damit klarkommen
.»
Denen? Wem denn? Sie war paranoid.
Und offenbar immer noch verschreckt wegen der Sache mit Major Wilshire, dessen Witwe sie das Haus abgekauft hatten.
Der Major war bei einem Sturz von der Leiter gestorben, die er an den Turm gelehnt hatte. Als George Webster – der zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich viel Wein getrunken hatte – die Geschichte hörte, fing er an, darüber zu spekulieren, dass es einen Beschützer dieses Ortes gäbe, dem vielleicht alle paar Jahre ein Opfer gebracht werden müsse. Vielleicht konnten sie herausfinden, ob noch jemand
anders
an dieser Stelle bei einem Unfall ums Leben gekommen war …
An diesem Punkt hatte Robin George bedeutet, mit ihm hinter die Scheune zu kommen, und ihm gesagt, er solle solchen Schwachsinn in Zukunft für sich behalten.
Falls nach diesem Unfall tatsächlich noch irgendwelche atmosphärischen Spannungen über der Kirche lagen, war es nach Robins Meinung das Beste, das zu ändern, indem man etwas Positives für den Turm tat. Irgendein Ritual, Betty würde bestimmt etwas wissen.
Zurück im Haus, stellte er das Eichenholzkistchen auf den Küchentisch. Betty kniff misstrauisch ihre meergrünen Augen zusammen.
«Wir müssen uns damit beschäftigen, Bets», erklärte Robin. «Und dann vergessen wir es ein für alle Mal.»
«Aber nicht unbedingt jetzt», sagte Betty gereizt.
Doch Robin war schon dabei, die Beschwörungsformel laut vorzulesen, jedenfalls die Passagen, die er lesen konnte. Er vermutete, dass Betty einige der Symbole deuten könnte – sie war nicht nur parapsychologisch weiter entwickelt als er, ihr esoterisches Wissen war auch umfassender als seines –, aber sie war nicht gerade übermäßig hilfsbereit in dieser Sache, um das Mindeste zu sagen.
«O. k.», räumte er ein, «es ist wahrscheinlich alles kompletter Unsinn. Vermutlich war das alles irgendwann mal vollkommen üblich – so wie Hufeisen über die Tür zu
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