Die fünfte Kirche
hatte, während er seine Arbeit über heidnische Praktiken schrieb. «Man gewöhnt sich dran», flüsterte er.
Sie nickte. Sie suchte den Blick Ned Bains, aber der sah zu Boden. Er wirkte sehr still und müde, als würde sich sein Körper wieder aufladen. Sie dachte: Er hat mich die ganze Zeit angestarrt. Und ich konnte nichts machen.
«… werden jetzt mit Maureen sprechen», sagte John Fallon, der jetzt auf der anderen Seite des Studios war, gegenüber von Ned Bain. «Maureen, Ihre Tochter war bei diesen New-Age-Leuten und ihrer friedvollen Naturverehrung dabei. Aber das war nur der Anfang, schließlich landete Gemma, wie ich gehört habe, in einer psychiatrischen Anstalt.»
Ja klar … mach Bain für deine eigenen Unzulänglichkeiten verantwortlich.
Merrily schüttelte sich wütend.
Mach den armen toten Sean verantwortlich.
«Sie geht da immer noch zur Behandlung, John.» Maureen war eine voluminöse Frau Anfang fünfzig mit Südlondoner Akzent. «Davon abgesehen, wird sie wohl nie wieder das Haus verlassen, das arme Kind.»
«Sie ist eine Hexe geworden, stimmt’s?»
«Sie ist Hexe geworden, als sie siebzehn war, damals ist sie aufs Technische College gekommen. Dort gab es einen Lehrer, der war genau wie … er.» Maureen zeigte mit dem Daumen auf Ned Bain, der spöttisch den Kopf schief legte. «Ein glatter, gutaussehender Typ, der auf Geld aus ist.»
Ned lachte leise.
Überhaupt nicht wie Sean. Wie hatte sie nur –
«Gut, diese Sache hatte aber
nichts
mit Ned Bain zu tun», sagte Fallon. «Dieser andere Mann hat Gemma also für einen Hexenkonvent gewonnen.»
Maureen erzählte, wie sich die Persönlichkeit ihrer Tochter innerhalb von sechs Monaten vollkommen verändert hatte. Sie löste ihre Verlobung mit einem sehr netten Jungen, der Automechaniker war, und dann fanden sie heraus, dass Gemma harte Drogen nahm.
«Aber wie schlimm es wirklich war, habe ich erst erfahren, als ihre Freundin zu mir kam – die Freundin, die mit ihr zusammen dem Hexenkonvent beigetreten war. Sie hat mir erzählt, dass Gemma mit dieser anderen Gruppe zu tun hat, die schwarze Magie praktiziert, und dass sie mit denen die St.-Anthony-Kirche entweiht hat – ich wusste, dass das stimmt, weil es in der Zeitung stand.»
«Entweiht, wie haben sie das gemacht?»
«Na ja … wissen Sie … sie haben … sie haben ihren Dreck dort hinterlassen.» Das großflächige Gesicht verzog sich. «Also …»
«John, wenn ich was sagen darf …» Ned Bain beugte sich vor. Die Kamera wurde zu ihm gedreht, das Mikro in Position gebracht.«Hier geht es um Satanismus, und Satanismus ist eine spezifisch antichristliche Bewegung. Mit Wicca oder einem der anderen Bereiche des Heidentums hat das nichts zu tun. Wir sind nicht gegen das Christentum, wir –»
«Natürlich sind Sie das, verdammt!» Merrily war halb aufgesprungen, aber ihre Stimme erreichte das Mikrophon nicht.
«Wir sind eine
Alternative
zum Christentum», betonte Bain. «Und außerdem, das sollte ich vielleicht an dieser Stelle sagen, Vorläufer des Jesus-Kults, der inzwischen politisch instrumentalisiert wurde. Ich sage Vorläufer, weil es Hinweise darauf gibt, dass das Christentum selbst nicht mehr ist als eine Erfindung, eine Modifizierung des Dionysos-Kults, der die Geschichte von dem Menschengott, der stirbt und wiederaufersteht …»
«Jaja.» Fallon unterbrach ihn. «Das ist faszinierend, Ned, aber ich möchte noch einen Moment beim Satanismus bleiben.»
«Das kann ich mir denken», murmelte Merrily.
«Also, Ned, Sie sagen, dass der Satanismus den Heiden genau so ein Gräuel ist wie das Christentum. Trotzdem ist die junge Gemma aber in eine Art von Teufelsverehrung abgeglitten, nachdem sie zur Hexe geworden war. Ich möchte nun nochmal zurückkommen zu Merrily Watkins …»
Merrily krallte die Hände um die Armlehnen ihres Stuhles.
Bitte, Gott …
«Was wir bisher noch nicht über Merrily gesagt haben, ist, dass sie nicht nur zu der neuen Spezies weiblicher Gemeindepriesterinnen gehört, sondern auch die offizielle Exorzistin der Diözese Hereford ist – ich glaube, heutzutage ist der richtige Begriff dafür Beraterin für spirituelle Grenzfragen. Das ist doch richtig?»
«Ja.»
Achte nicht auf die Kamera und die Scheinwerfer. Sieh Bain nicht in die Augen.
«Meine Frage an Sie lautet, ob öfter Menschen wie Maureen zu Ihnen kommen?»
«Ich …» Sie schluckte. Sie konnte schließlich nicht sagen, dass sie diesen Job noch
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