Die fünfte Kirche
für Merrilys Geschmack. Seine Worte klangen hohl in der Fabrikhallen-Akustik.
«Ich habe den feierlichen, freudvollen Taufgottesdienst bei ihnen zu Hause abgehalten. An diesem Tag war selbst die Luft voller Hoffnung und Jubel, und diese beiden Seelen wurden gesegnet unter den Flügeln der Engel.»
Aus dem Schatten war die Stimme eines Mannes zu hören, der – unfreiwillig, wie es schien, wie ein Schluckauf – «Gepriesen sei der Herr!» rief. Als wäre der himmlische Gastgeber plötzlich durch die Decke gebrochen.
Nicholas Ellis war für einen Moment still. Merrily konnte seinen Gesichtsausdruck nicht genau erkennen, weil die Scheinwerfer nicht auf ihn, sondern auf den Sarg gerichtet waren.
Der keinen Deckel hatte! Nach amerikanischer Sitte lag Menna Weal in einem offenen Sarg. Sie war in ihr Totenhemd gehüllt. Ihr Gesicht sah in diesem Licht aus, als wäre es aus Marmor. Um sie herum ein Vorhang aus Schatten.
Merrily gefiel das nicht, sie fand es gruselig. Sie suchte in der Menge nach Barbara Buckingham, aber es war hoffnungslos. Wie konnte Barbara, wo immer sie war, das aushalten? Wie konnte irgendjemand hier das aushalten?
Gruselig sollte eine Beerdigung
niemals
sein.
«Und in dieses liebende Zuhause wird Mennas Körper in kurzer Zeit zurückkehren», sagte Nicholas Ellis. «Ihre sterblichen Überreste werden in einer kleinen privaten Zeremonie zur letzten Ruhe gebettet werden, und genau so sollte es bei einer so liebevollen Beziehung sein.»
Merrily erblickte J. W. Weal, der wie ein großer Stein auf seinem Stuhl saß und auf den Körper seiner Frau starrte. Sie musste daran denken, wie sie ihn im Krankenhaus zum ersten Mal gesehen hatte, mit der Schale voll Wasser und dem Waschlappen in den Händen. Ein Akt der Verehrung?
«Lasst uns Gott für die Liebe danken», sagte Ellis, «wenn die schwarzen Drachenflügel des Bösen über unseren Köpfen schlagen und die Nachtluft vom Gestank des Satans erfüllt ist.»
Merrily rümpfte die Nase.
«Denken wir daran, dass uns nur das helle Licht der Liebe durch die langen dunklen Stunden helfen kann. Erheben wir uns und singen, mit Menna und Jeffery in unseren Herzen, Nummer zwei vom Liederzettel, ‹Bring mich, Herr, zu deinem goldenen Palast›.»
Die Lichter gingen an, und alle standen auf, das massenhafte Schrammen der Metallstühle klang fast wie ein Kreischen. Ganz vorne sah Merrily einen großen Kopf, der alle anderen überragte. J. W., der auf die Überreste seiner Frau niederblickte.
«Er will sie besitzen»
, hatte Barbara gesagt.
«Das ist ein Fall von Besessenheit.»
Merrily fand sich draußen in der Kälte wieder, sie fühlte sich, als hätte sie einen leichten Schock erlitten.
Auf halbem Weg die Stufen hinunter blieb sie stehen, mit dem Rücken zu einer Waldkiefer. Unter ihr lag im Schatten Old Hindwell. Merrily hielt nach den Scheinwerfern von Sophies Saab Ausschau.
Irgendwie so gar nicht anglikanisch.
Das konnte man wohl sagen. Das Lied hatte etwas von einem Gospel gehabt, aber auch von einem Countrysong. Es war abgedroschen und banal – nicht schlechter, aber sicher auch nicht besser als die gestelzten viktorianischen Kirchenlieder, die Merrilyseit Monaten aus ihren Gottesdiensten herauszuhalten versuchte. Sie hatte keinen Liederzettel gehabt, aber das Verlöschen der Lampen sagte ihr, wann die letzte Strophe zu Ende war. Es folgten Worte, die nicht auf dem Liederzettel standen – die Melodie und der Rhythmus verschwanden in der Dunkelheit, doch der Gesang selbst hörte nicht auf.
Merrily war unbeweglich stehengeblieben, diesem Phänomen war sie seit einigen Jahren nicht mehr ausgesetzt gewesen: die Sprache der Engel, wenn es nach einigen von diesen Massenpredigern ging. Unsinnige Worte, die aus schlaffen Mündern sprudelten, flossen und heulten.
Zungen. Die Gabe.
Das Zeichen dafür, dass der Heilige Geist hier in der Dorfhalle von Old Hindwell war.
Aber im Moment konnte sie sich darüber keine Gedanken machen. Sie war nicht wegen des Liedes oder seiner gespenstischen Schlusssequenz hinausgegangen und auch nicht wegen des düsteren Anblicks, den der schweigende Jeffery Weal bot. Während des Liedes hatte sie Gelegenheit gehabt, bei Licht Reihe für Reihe der Gemeinde durchzugehen, und Barbara Buckingham war definitiv nicht darunter. Zwar hieß das, dass sie jetzt nicht mehr Ellis’ grausigem Blödsinnn zuhören musste und in Ruhe draußen rauchen konnte, andererseits bedeutete es möglicherweise ein Problem.
Barbara
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