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Die Fünfundvierzig

Titel: Die Fünfundvierzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Dumas d. Ä.
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Brombeerstauden zu erreichen, nirgends waren Herde und Hirt zu sehen, nirgends der Pflug und der Pflüger, kein Handelsmann mehr, mit dem Ballen auf dem Rücken, von einer Gegend in die andere ziehend, kein Kärrner mehr, der rauhe Lieder sang und, eine geräuschvolle Peitsche in der Faust, neben seinem plumpen Karren einherschlenderte.
    Soweit sich der Blick über diese herrlichen Ebenen, an den kleinen Abhängen hin, im hohen Grase, am Saume der Wälder erstreckte, keine menschliche Gestalt, keine Stimme. Man hätte glauben sollen, die Natur stehe am Vorabend des Tages, wo Menschen und Tiere geschaffen wurden.
    Als die Dämmerung eintrat, suchte Henri überall, in der Luft, in den Bäumen, ja in den Wolken die Erklärung der unheilkündenden Erscheinung.
    Die einzigen Personen, die diese düstere Einsamkeit belebten, waren, sich von dem Purpur der untergehenden Sonne abhebend, Remy und seine Gefährtin, die sich neigte, um zu horchen, ob nicht ein Geräusch zu ihnen käme; dann hundert Schritte dahinter Henris Gestalt, der beständig dieselbe Entfernung und dieselbe Haltung behauptete.
    Die Nacht senkte sich finster und kalt herab, der Nordostwind pfiff durch die Luft und erfüllte die Öde mit einem Geräusch, das drohender schien als das Stillschweigen.
    Remy hielt seine Gefährtin zurück, indem er die Hand an die Zügel ihres Pferdes legte.
    »Gnädige Frau,« sagte er, »Ihr wißt, ob ich unzugänglich für die Furcht bin, Ihr wißt, ob ich einen Schritt rückwärts täte, um mein Leben zu retten; diesen Abend aber geht etwas Seltsames in mir vor, eine unbekannte Betäubung fesselt meine Sinne, lähmt mich und verbietet mir weiterzugehen. Nennt es Furcht, Verzagtheit, Schrecken, ich gestehe, zum erstenmal in meinem Leben habe ich ... Angst.«
    Die Dame wandte sich um; vielleicht waren ihr alle diese drückenden Vorzeichen entgangen, vielleicht hatte sie nichts gesehen.
    »Ist er immer noch da?« fragte sie.
    »Oh! von ihm ist nicht mehr die Rede,« entgegnete Remy; »ich bitte Euch, denkt nicht mehr an ihn; er ist allein, und ich bin einem einzelnen Menschen gewachsen. Nein, die Gefahr, die ich fürchte, oder die ich vielmehr fühle, die ich ahne, mehr instinktartig als mit Hilfe meiner Vernunft, diese Gefahr, die herannaht, uns bedroht, uns vielleicht umgibt, diese Gefahr ist eine andere; sie ist unbekannt und deshalb um so bedrohlicher.«
    Die Dame schüttelte den Kopf.
    »Hört,« sagte Remy, »seht Ihr dort die Weidenbäume, die ihre schwarzen Gipfel beugen?« – »Ja.«
    »Neben diesen Bäumen erblicke ich ein kleines Haus; ich bitte, laßt uns dahin gehen; ist es bewohnt, so können wir leicht Gastfreundschaft verlangen; ist es nicht bewohnt, so nehmen wir es einfach in Besitz; oh! macht keine Einwendung, ich flehe Euch an!«
    Remys Bewegtheit, seine zitternde Stimme, das Überredende seiner Worte bestimmten seine Gefährtin nachzugeben. Sie wandte ihr Pferd in der von Remy angegebenen Richtung.
    Einige Minuten nachher klopften die Reisenden an die Tür des unter einer Gruppe von Weidenbäumen erbauten Hauses. Ein Bach zwischen Schilfrohr und grünem Rasen bespülte mit seinem murmelnden Wasser den Fußder Weiden; hinter dem aus Backstein gebauten und mit Ziegeln bedeckten Haus lag ein kleiner Garten, von einer lebendigen Hecke umfriedet. Dies alles war öde, leer, verlassen. Niemand antwortete auf das verdoppelte Klopfen der Reisenden.
    Remy drückte unschwer die schlecht verwahrte Tür auf, führte seine Gefährtin hastig in das Haus, schlug die Tür hinter ihr zu, schob einen schweren Riegel vor und atmete nun, als ob er das Leben gewonnen hätte. Dann quartierte er seine Gebieterin in der einzigen Stube des ersten Stockes ein, wo er tappend und tastend ein Bett, einen Stuhl und einen Tisch fand. Hierauf stieg er wieder in das Erdgeschoß hinab und beobachtete durch einen etwas geöffneten Laden und durch das vergitterte Fenster die Bewegungen des Grafen, der sich dem Hause näherte.
    Henris Betrachtungen waren finsterer Natur und standen mit Remys im Einklang.
    »Sicher,« sagte er zu sich selbst, »schwebt eine uns unbekannte, aber, den Bewohnern bekannte Gefahr über dem Lande; der Krieg verheert die Gegend, die Franzosen haben Antwerpen genommen oder werden es nehmen; vom Schrecken ergriffen, haben die Bauern eine Zuflucht in den Städten gesucht.«
    »Was machen Remy und seine Herrin hier?« fragte er sich weiter. »Welche Notwendigkeit treibt sie dieser Gefahr entgegen? Oh! ich werde es

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