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Die Fünfundvierzig

Titel: Die Fünfundvierzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Dumas d. Ä.
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setzte sein Pferd in Galopp und sprengte einer Anhöhe zu.
    »Was sehe ich?« rief er, als er den Gipfel erreichte.
    Was er sah, hatte sein Pferd vor ihm gesehen, denn er hatte es nicht in dieser Richtung vorwärts bringen können, ohne ihm die Flanken mit seinen Sporen zu zerreißen, und als es den Gipfel des Hügels erreicht hatte, bäumte es sich, daß es seinen Reiter beinahe abwarf.
    Was Roß und Reiter sahen, war am Horizont ein blasses, ungeheures, endloses Band, das auf der Ebene vorrückte, einen unermeßlichen Kreis bildete und nach dem Meere zu ging. Und dieses Band erweiterte sich Schritt für Schritt vor Henris Augen.
    Der junge Mann schaute unsicher die seltsame Erscheinung an, als er, nach dem Platze, den er verlassen, zurückblickend, bemerkte, daß der Wiesgrund sich mit Wasser schwängerte, und der kleine Fluß überströmte. Das Wasser rückte ganz sacht gegen das Haus heran.
    »Ich unselig Wahnsinniger, der ich bin!« rief Henri, »ich erriet es nicht, es ist das Wasser! Es ist das Wasser! Die Flamländer haben ihre Dämme durchbrochen!«
    Henri sprengte sogleich nach dem Hause fort, klopfte wütend an die Tür und rief:
    »Öffnet, öffnet!«
    Niemand antwortete.
    »Öffnet, Remy!« schrie der junge Mann, wahnsinnig vor Schrecken, »ich bin es, Henri du Bouchage, öffnet!«
    »Oh! Ihr braucht Euch nicht zu nennen, Herr Graf,«erwiderte Remy aus dem Innern des Hauses, »ich habe Euch längst erkannt, doch ich sage Euch nur, wenn Ihr diese Tür sprengt, so findet Ihr mich dahinter, in jeder Hand eine Pistole!«
    »Du verstehst mich also nicht, Unglücklicher!« rief Henri im Tone der Verzweiflung, »das Wasser! das Wasser! es ist das Wasser!«
    »Keine Fabeln, keine Vorwände, keine schmähliche List, Herr Graf. Ich sage Euch, daß Ihr über meinen Leichnam schreiten müßt, um hereinzukommen.«
    »Dann werde ich darüber schreiten, aber hineinkommen,« rief Henri. »Im Namen des Himmels, im Namen Gottes, – im Namen deines Heils und des Heils deiner Gebieterin, willst du öffnen?« – »Nein!«
    Der junge Mann schaute umher und erblickte einen mächtigen Stein; er hob ihn in seine Arme, von da auf seinen Kopf, lief gegen das Haus und schleuderte ihn gegen die Tür, die in tausend Stücke zersprang. Zugleich pfiff eine Kugel an Henris Ohr vorüber, jedoch ohne ihn zu berühren.
    Henri stürzte auf Remy los. Dieser drückte seine zweite Pistole ab, doch nur das Zündkraut fing Feuer.
    »Du siehst wohl, daß ich keine Waffen habe,« rief Henri; »wehre dich nicht mehr gegen einen Mann, der dich nicht angreift; schau' nur, schau'!«
    Und er zog ihn nach dem Fenster, das er mit einem Faustschlag zerschmetterte.
    »Nun,« sagte er, »siehst du nun?«
    Und er deutete auf die ungeheure Wassermasse, die weiß am Horizont erschien und, während sie wie die Front eines riesigen Heeres vorrückte, ein dumpfes Murmeln und Brausen vernehmen ließ.
    »Das Wasser!« murmelte Remy.
    »Ja, das Wasser! das Wasser!« rief Henri; »es rückt heran; sieh zu unseren Füßen; der Fluß tritt aus,er steigt, in fünf Minuten kann man nicht mehr von hier weg.«
    »Madame!« rief Remy, »Madame!«
    »Kein Geschrei, keine Angst, Remy, halte die Pferde bereit, rasch, rasch!«
    »Er liebt sie,« dachte Remy, »er wird sie retten.«
    Remy lief in den Stall. Henri stürzte nach der Treppe.
    Bei Remys Ruf hatte die Dame ihre Tür geöffnet. Der junge Mann hob sie in seine Arme, als wäre sie ein Kind. Aber sie glaubte, es sei Verrat, oder man wolle Gewalt brauchen, und sträubte sich aus Leibeskräften und klammerte sich an den Wänden an.
    »Sage ihr doch,« rief Henri, »daß ich sie rette!«
    Remy hörte den Ruf des jungen Mannes in dem Augenblick, wo er mit den beiden Pferden zurückkehrte.
    »Ja! ja!« rief er, »ja, Madame, er rettet Euch, oder vielmehr, er wird Euch retten; kommt! kommt!«

Die Flucht.
    Ohne mit Erklärungen Zeit zu verlieren, trug Henri die Dame aus dem Hause und wollte sie mit sich auf sein Pferd setzen. Doch mit einer Bewegung unüberwindlichen Widerstrebens schlüpfte sie aus dem lebendigen Ring und wurde von Remy aufgefangen, der sie auf das Pferd hob, das für sie bereitstand.
    »Oh! was macht Ihr, Madame,« sagte Henri, »und wie versteht Ihr mein Herz? Es gilt für mich nicht das Vergnügen, Euch in meine Arme zu schließen, obgleich ich bereit wäre, für diese Gunst mein Leben zu opfern; es handelt sich darum, so schnell wie der Vogel zu fliehen. Seht Ihr, wie die Vögel fliehen?«
    In der eben

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