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Die Fünfundvierzig

Titel: Die Fünfundvierzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Dumas d. Ä.
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entstehenden Dämmerung sah man wirklich Scharen von Tauben die Luft mit raschem, scheuem Fluge durchschneiden.
    Die Dame antwortete nichts; als sie aber im Sattelwar, trieb sie ihr Pferd vorwärts, ohne den Kopf umzuwenden. Doch infolge des zweitägigen Gewaltrittes waren ihr Pferd und Remys abgemattet. Jeden Augenblick wandte sich Henri um, und als er sah, daß sie ihm nicht folgen konnte, rief er: »Seht, Madame, wie mein Pferd dem Eurigen voraneilt, und ich halte es doch mit beiden Händen zurück; laßt Euch bitten, Madame, während es noch Zeit ist; ich verlange nicht mehr, Euch in meinen Armen zu halten, aber nehmt mein Pferd und laßt mir das Eurige!«
    »Ich danke, mein Herr,« erwiderte die Reisende mit ruhiger Stimme, und ohne daß sich die geringste Gemütsbewegung in ihrem Tone verriet.
    »Aber, Madame,« rief Henri, indem er verzweifelte Blicke rückwärts warf, »das Wasser erreicht uns, hört Ihr, hört Ihr?«
    Man vernahm in der Tat in diesem Augenblick ein furchtbares Krachen; es war der Damm eines Dorfes, den die Überschwemmung durchbrochen hatte. Bohlen, Stützen, Terrasse hatten nachgegeben, eine doppelte Reihe von Grundpfählen war mit einem donnerähnlichen Lärm zerschmettert worden, und über all diese Trümmer hinrollend, fing das Wasser an, einen Eichenwald zu stürmen, dessen Gipfel man beben sah, dessen Äste man krachen hörte, als ob eine Schar von Dämonen über das Blätterwerk hinzöge.
    Die entwurzelten Bäume schlugen an den Pfählen aneinander, die eingestürzten hölzernen Häuser schwammen an der Oberfläche des Wassers; das Gewieher und das entfernte Geschrei von Menschen und Pferden, die von der Überschwemmung fortgerissen wurden, bildeten ein Konzert von so seltsamen, so traurigen Tönen, daß der Schauer, der Henri ergriffen, bis an das unempfindliche, unbezähmbare Herz der Unbekannten stieg. Sie stachelte ihr Pferd, und dieses verdoppelte seine Anstrengungen, als fühlte es selbst die drohende Gefahr.
    Doch das Wasser rückte immer weiter und weitervor, und es mußte offenbar, ehe zehn Minuten vergingen, die Reisenden erreichen. Jeden Augenblick hielt Henri an, um auf seine Gefährtin zu warten, und er rief ihr zu: »Schneller, Madame, schneller, schneller, das Wasser kommt herbei, es läuft, hier ist es!«
    Es kam in der Tat, schäumend, wirbelnd, brausend; es trug wie eine Feder das Haus fort, in dem Remy seine Gebieterin untergebracht hatte; es hob wie einen Strohhalm die am Ufer des kleinen Flusses angebundene Barke auf, und majestätisch, ungeheuer, seine Ringe wie die einer Schlange rollend, rückte es, einer Mauer ähnlich, hinter den Pferden Remys und der Unbekannten heran.
    Henri stieß einen Schrei des Schreckens aus und kehrte sich gegen das Wasser um, als wollte er es bekämpfen.
    »Ihr seht doch, daß Ihr verloren seid,« brüllte er in Verzweiflung. »Vorwärts, Madame, vielleicht ist es noch Zeit; steigt ab, kommt mit mir, kommt!«
    »Nein, mein Herr,« sagte sie.
    »In einer Minute wird es zu spät sein, schaut, schaut doch!«
    Die Dame wandte den Kopf um, das Wasser war ihr bis auf fünfzig Schritte nahe gekommen.
    »Mein Schicksal geht in Erfüllung,« sagte sie; »Ihr aber flieht!«
    Erschöpft sank das Pferd auf seine Vorderbeine und konnte sich trotz der Anspornung seines Reiters nicht mehr erheben.
    »Rettet! rettet sie! und geschehe es wider ihren Willen,« rief Remy.
    Und während sich der treue Diener von den Steigbügeln losmachte, stürzte das Wasser auf sein Haupt.
    Bei diesem Anblick stieß seine Gebieterin einen gräßlichen Schrei aus und sprang von ihrem Rosse, entschlossen, mit Remy zu sterben. Henri aber sprang, als er ihre Absicht wahrnahm, zugleich zu Boden, umschlang ihren Leib mitseinem rechten Arm, stieg wieder auf sein Pferd und schoß wie ein Pfeil fort.
    »Remy! Remy!« rief die Dame, ihre Arme nach diesem ausstreckend, »Remy!«
    Ein Schrei antwortete ihr; Remy war wieder an die Oberfläche des Wassers gekommen, und mit der unbezähmbaren Hoffnung, die den Sterbenden bis an das Ende seines Todeskampfes begleitet, schwamm er, sich an einem Balken haltend.
    Neben ihm war sein Pferd, das voll Verzweiflung mit seinen Vorderfüßen das Wasser schlug, während die Woge das Roß seiner Gebieterin erreichte, und kaum zwanzig Schritte vor der Woge Henri und seine Gefährtin auf dem dritten vor Angst wahnsinnigen Pferde nicht ritten, sondern flogen.
    Remy beklagte nicht mehr den Verlust des Lebens, da er sterbend hoffte, die, die er

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