Die Fünfundvierzig
der Gebieterin und folglich auch sein Wille.
»Aber werden diese Vorsichtsmaßregeln nur meinetwegen allein genommen?« fragte Aurilly.
»Nein, gegen jeden.«
»Aber der Herzog von Anjou hat sie gesehen; damals verbarg sie sich also nicht,«
»Zufall, reiner Zufall,« sagte Remy, »und gerade weil meine Gebieterin gegen ihren Willen vom Herrn Herzog von Anjou gesehen worden ist, trifft sie ihre Maßregeln, um von niemand mehr gesehen zu werden.«
Die Tage vergingen indessen, man näherte sich dem Ziele, und durch Remys und seiner Gebieterin Vorsicht waren die Bemühungen des neugierigen Aurilly vereitelt worden.
Schon war das Ende der Reise nicht ferne. Aurilly, der seit drei bis vier Tagen alles versuchte, Freundlichkeit, Schmollen, kleine Aufmerksamkeiten und beinahe Gewalt, fing an, die Geduld zu verlieren, und die schlimmen Instinkte seiner Natur gewannen allmählich die Oberhand. Es war, als erkenne er, unter dem Schleier dieser Frau sei ein tödliches Geheimnis verborgen.
Eines Tages blieb er mit Remy ein wenig zurück und erneuerte bei diesem seine Bestechungsversuche, die Remy wie gewöhnlich zurückwies.
»Früher oder später muß ich doch deine Gebieterin einmal sehen,« sagte Aurilly. – »Ohne Zweifel, doch das wird geschehen, wann sie will, und nicht, wann Ihr wollt.«
»Wenn ich aber Gewalt anwendete?« – »Versucht es,« versetzte Remy, und ein Blitz, den er nicht zu unterdrücken vermochte, sprang aus seinen Augen hervor.
Aurilly sah diesen Blitz; er begriff, welche Energie in dem lebte, den er für einen Greis hielt.
»Welch ein Narr bin ich!« sagte er lachend, »wasliegt mir daran, wer sie ist? Nicht wahr, es ist dieselbe, die der Herr Herzog von Anjou gesehen hat?« – »Gewiß.«
»Und die er mir befahl, nach Chateau-Thierry zu bringen?« – »Ja.«
»Wohl! mehr brauche ich nicht; ich bin nicht in sie verliebt, sondern der Herr Herzog, und wenn Ihr nicht versucht zu fliehen, mir zu entkommen ...« – »Sehen wir danach aus?«
»Nein.« – »Wir sehen so wenig danach aus, und es ist so wenig unsere Absicht, daß wir, wenn Ihr auch nicht dabei wäret, unsere Reise nach Chateau-Thierry fortsetzen würden; wünscht der Herzog uns zu sehen, so wünschen wir ihn auch zu sehen.«
»Das trifft vortrefflich zusammen.« Dann fragte er, als wollte er sich versichern, daß Remy und seine Gefährtin wirklich nicht einen andern Weg einzuschlagen wünschten, auf ein Wirtshaus an der Landstraße deutend: »Will Eure Gebieterin hier einen Augenblick anhalten?« – »Ihr wißt, daß meine Gebieterin nur in Städten anhält.«
»Ich habe nicht darauf achtgegeben.« – »Es ist so.«
»Ich will aber einen Augenblick anhalten; reitet weiter, ich hole Euch ein.«
Aurilly deutete Remy den Weg an, stieg ab und näherte sich dem Wirt, der ihm mit großer Ehrerbietung und als ob er ihn kennte, entgegenkam. Remy ritt Diana nach.
»Was sagte er Euch?« fragte die junge Frau. – »Er drückte seinen gewöhnlichen Wunsch aus.«
»Den, mich zu sehen?« – »Ja.«
Diana lächelte unter ihrer Maske.
»Nehmt Euch in acht,« sagte Remy, »er ist wütend.«
»Er wird mich nicht sehen. Ich will es nicht, und damit sage ich dir, daß er nichts in dieser Hinsicht zu tun imstande sein wird.«
»Muß er Euch aber nicht, wenn Ihr einmal in Chateau-Thierry seid, mit entblößtem Gesicht sehen?«»Was ist daran gelegen, wenn die Entdeckung zu spät kommt? Übrigens hat mich der Herr nicht erkannt.«
In diesem Augenblick wurden sie von Aurilly unterbrochen, der, nachdem er einen Seitenweg eingeschlagen hatte und ihnen gefolgt war, ohne sie aus dem Gesicht zu verlieren, plötzlich in der Hoffnung erschien, einige Worte ihres Gesprächs zu erlauern.
Das rasche Schweigen bei seiner Ankunft bewies ihm, daß er lästig war; er begnügte sich daher, ihnen im Abstand zu folgen, wie er dies zuweilen tat.
Von diesem Augenblick stand Aurillys Plan fest. Er mißtraute, er wußte selbst nicht, warum, er mißtraute instinktartig; denn von Vermutungen zu Vermutungen hin und her schwankend, war sein Geist nicht einen Augenblick bei der Wirklichkeit stehengeblieben.
Er konnte sich nicht erklären, warum man ihm so hartnäckig dieses Gesicht verbarg, das er früher oder später sehen mußte. Um seinen Plan besser zum Ziele zu führen, gab er sich von diesem Augenblick den Anschein, als hätte er auf ihn verzichtet, und zeigte sich den ganzen Tag als der bequemste und lustigste Geselle.
Remy bemerkte diese
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