Die Fünfundvierzig
du denkst, ich könne nicht sehen, und in diesem Winkel ist ein Loch, und infolge dieses Loches machst du nicht eine Gebärde, die ich nicht sehe. Oh! mein Kapitän, du bist mir nicht gewachsen.«
Und während er diese Worte mit einer Miene der Verachtung sprach, die nur ihm eigentümlich war, hielt er sein Auge an den künstlich durchbohrten Verschlag. Er erblickte Borromée, der zuerst vorsichtig seinen Finger auf die Lippen legte und sodann mit Bonhomet sprach, der in seine Wünsche durch ein olympisches Kopfnicken willigte.
Aus der Bewegung der Lippen des Kapitäns erriet Chicot, der in solchen Dingen sehr bewandert war, daß die von ihm ausgesprochenen Worte sagen wollten:
»Bedient uns in jenem Winkel und kommt nicht herein, welches Geräusch Ihr auch hören möget.«
Sodann nahm Borromée eine Lampe, die ewig aufeinem Schranke brannte, hob eine Falltür auf und stieg selbst in den Keller hinab.
Sogleich klopfte Chicot auf eine eigentümliche Weise an den Verschlag. Sofort wurde Bonhomet aufmerksam, schaute in die Luft und horchte. Chicot klopfte zum zweiten Male und wie ein Mensch, der sich wundert, daß man einem ersten Rufe nicht gefolgt ist. Da eilte Bonhomet in den Winkel und sah Chicot aufrecht und mit drohendem Gesicht.
Bei diesem Anblick stieß der Wirt einen Schrei aus; er hielt Chicot für tot und dachte, er stehe einem Gespenst gegenüber.
»Was soll das heißen, Meister,« sagte Chicot, »seit wann laßt Ihr Leute wie mich zweimal rufen?«
»Oh! teurer Herr Chicot,« erwiderte Bonhomet, »seid Ihr es, oder ist es Euer Schatten?«
»Ob ich es bin, oder ob es mein Schatten ist, ich hoffe, daß Ihr mir, sobald Ihr mich erkennt, Punkt für Punkt gehorchen werdet.«
»Ah! gewiss, mein lieber Herr, befehlt nur.«
»Was Ihr auch in diesem Kabinett hören möget, und was auch vorgeht, Ihr werdet hoffentlich warten, bis ich Euch herbeirufe.«
»Dies wird mir um so leichter sein, Herr Chicot, als mir Euer Gefährte das gleiche befohlen hat.«
»Ja, aber er wird nicht rufen, versteht Ihr mich wohl, Herr Bonhomet, sondern ich werde rufen; und wenn er ruft, hört Ihr, so soll es sein, als ob er nicht riefe.«
»Abgemacht, Herr Chicot.«
»Gut; und nun entfernt alle Eure anderen Kunden unter irgendeinem Vorwand, und in zehn Minuten müssen wir frei und ebenso einsam sein, als ob wir gekommen wären, um am Karfreitag hier zu fasten.«
»In zehn Minuten, edler Herr Chicot, wird mit Ausnahme Eures ergebensten Dieners keine Katze mehr im ganzen Wirtshause sein.«
»Geht, Bonhomet, geht, Ihr habt Euch meine ganze Achtung erhalten,« sagte Chicot mit majestätischer Gebärde.
»Oh! mein Gott! mein Gott! was wird in meinem armen Hause vorfallen?« sagte Bonhomet, während er sich entfernte, und da er rückwärts ging, stieß er auf Borromée, der mit zwölf Flaschen aus dem Keller zurückkam.
»Du hast gehört,« sagte dieser, »in zehn Minuten keine Seele mehr im ganzen Wirtshaus.«
Bonhomet machte mit seinem sonst so hochmütigen Kopfe ein Zeichen des Gehorsams und begab sich in seine Küche. Borromée kehrte in seinen Winkel zurück und fand Chicot, der ihn, das Bein vorwärts gestreckt und ein Lächeln auf den Lippen, erwartete.
Wir wissen nicht, wie Bonhomet die Sache anfing, als aber die zehnte Minute abgelaufen war, trat der letzte Student über die Schwelle seines Hauses und sagte zum letzten Schreiber, dem er den Arm reichte: »Ho! ho! das Wetter steht heute auf Sturm bei Meister Bonhomet; machen wir uns aus dem Staub, oder es trifft uns der Hagel.«
Was in dem Winkel des Füllhorns vorfiel.
Als der Kapitän mit einem Korb von zwölf Flaschen in der Hand in den Winkel zurückkehrte, empfing ihn Chicot mit so offener und lächelnder Miene, daß Borromée versucht war, ihn für einen Einfaltspinsel zu halten.
Die Vorbereitungen dauerten nicht lange. Als erfahrene Trinker forderten die beiden Genossen einige eingesalzene Eßwaren in der lobenswerten Absicht, den Durst nicht erlöschen zu lassen. Bonhomet brachte ihnen die verlangten Speisen, wobei ihm jeder einen letzten mahnenden Blick zuwarf.
Bonhomet antwortete beiden, aber der aufmerksameBeobachter würde einen großen Unterschied zwischen dem an Borromée und dem an Chicot gerichteten Blicke gefunden haben. Dann ging der Wirt hinaus, und die zwei Gefährten fingen an zu trinken.
Anfangs leerten sie eine Anzahl volle Gläser, ohne ein Wort zu sprechen. Chicot besonders war herrlich; ohne etwas anderes gesagt zu haben, als: »Bei
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