Die Fünfundvierzig
mein Herr; ich liefere dem König und den jungen Herren vom Hofe gewalkte wollene Strümpfe.«
»Dem König?« – »Ich hatte schon seine Kundschaft, als er noch Herzog von Anjou war ... Bei seiner Rückkehr aus Polen erinnerte er sich meiner und machte mich zum Hoflieferanten. Ihr wißt, daß der König eine Pilgerfahrt zu Unserer Lieben Frau von Chartres gemacht hat.«
»Ja, um einen Erben zu bekommen.« – »Ganz richtig, Ihr wißt, daß es ein sicheres Mittel gibt, um das Resultat zu erreichen, das der König verfolgt?«
»Es scheint jedenfalls, daß der König dieses Mittel nicht anwendet.« – »Bruder Borromée!«
»Was?« – »Ihr wißt genau, daß es sich darum handelt, einen Thronerben durch ein Wunder und nicht auf eine andere Weise zu erhalten.«
»Und dieses Wunder verlangt man?« – »Von Unserer Lieben Frau von Chartres.«
»Ah! ja, das Hemd?« – »So ist es. Der König hat dieser guten Lieben Frau ihr Hemd genommen und es der Königin gegeben, so daß er ihr im Austausch für dieses Hemd einen Rock ähnlich dem Unserer Lieben Frau von Toledo schenken will, der, wie man sagt, der schönste und reichste Jungfrauenrock ist, den es auf der Welt gibt.«
»Somit geht Ihr?« – »Nach Toledo, lieber, BruderBorromée, nach Toledo, um das Maß von dem Rocke zu nehmen und einen ähnlichen machen zu lassen.«
Borromée schien zu zögern, ob er Chicot auf sein Wort glauben oder nicht glauben sollte.
»Ihr könnt Euch also vorstellen,« fuhr Chicot fort, als ob er durchaus nicht wüßte, was im Geiste des Bruder Säckelmeister vorging, »Ihr könnt Euch also vorstellen, daß mir die Gesellschaft von Geistlichen unter solchen Umständen sehr angenehm gewesen wäre. Doch die Zeit geht vorbei, und Bruder Jacques kann nun nicht mehr lange ausbleiben. Übrigens will ich außen warten, etwa bei der Croix-Faubin.«
»Ich glaube, daß dies besser ist.« – »Ihr werdet also die Güte haben, ihn zu benachrichtigen, sobald er zurückkommt.«
»Ja.« – »Und Ihr schickt ihn mir zu?«
»Ich werde es nicht versäumen.« – »Ich danke, lieber Bruder Borromée ... Ich bin entzückt, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben.«
Beide verbeugten sich, und Chicot ging die kleine Treppe hinab, hinter ihm schloß Bruder Borromée die Tür mit dem Riegel.
»Oh! oh!« sagte Chicot, »es scheint wichtig zu sein, daß ich die Dame nicht sehe, folglich muß ich sie sehen.«
Und um dieses Vorhaben in Ausführung zu bringen, ging Chicot so auffallend als möglich aus der Priorei der Jakobiner weg, plauderte einen Augenblick mit dem Bruder Pförtner und wanderte, die Mitte der Straße haltend, nach der Croix-Faubin.
Doch als er dahin gekommen war, verschwand er an der Mauerecke eines Pachthofes, und hier, wo er fühlte, daß er allen Argussen des Priors, und hätten sie die Falkenaugen des Bruders Borromée gehabt, Trotz bieten konnte, schlüpfte er längs der Gebäude hin, folgte in einem Graben einer Hecke und erreichte, ohne bemerkt worden zu sein, eine Reiheziemlich dichter, junger Hagebuchen, die sich dem Kloster gegenüber ausdehnte.
An dieser Stelle, die ihm einen Beobachtungsmittelpunkt bot, wie er sich ihn nur immer wünschen konnte, setzte oder legte er sich vielmehr nieder und wartete, bis Bruder Jacques in das Kloster zurückkam und die Dame herausging.
Der Hinterhalt.
Chicot brauchte, wie man weiß, nicht lange, um einen Entschluß zu fassen. Er faßte den zu warten, und zwar so bequem als möglich. Er machte sich durch das Dickicht der Hagebuchen ein Fenster, um die Kommenden und Gehenden, die ihn interessieren konnten, nicht unbemerkt vorüber zu lassen.
Die Straße war öde. Soweit Chicots Blick reichte, erschienen weder Reiter noch Neugierige noch Bauern. Die ganze Menge vom vorhergehenden Tag war mit dem Schauspiel verschwunden, das sie versammelt hatte. Chicot sah also nichts, als einen ziemlich elend gekleideten Mann, der quer über die Straße ging und mit einem spitzigen Stabe Messungen auf dem Pflaster Seiner Majestät des Königs von Frankreich vornahm. Chicot hatte durchaus nichts zu tun. Er war entzückt, daß er diesen guten Mann fand, der ihm als Betrachtungspunkt dienen sollte.
»Was messen? warum messen?« dies waren zwei Minuten lang die ernsten Fragen, die Robert Briquet an sich richtete.
Er beschloß also, ihn nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Im Augenblick aber, wo dieser Mann seine Messung beendigt hatte und den Kopf wieder erheben sollte, nahm leider eine wichtigere
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