Die Fünfundvierzig
befragen.
»Er heißt der Schatten,« sagte Heinrich.
»Wir werden alle Reisende, die wir treffen, nach ihrem Namen fragen, Sire.«
»Und wir durchsuchen alle Gasthöfe.«
»Sobald ihr den Mann getroffen und erkannt habt, übergebt ihr ihm diesen Brief.«
Die jungen Leute streckten zugleich die Hand darnach aus. – Der König blieb einen Augenblick verlegen.
»Wie heißt Ihr?« fragte er den einen. – »Ernauton von Carmainges« – »Und Ihr?« – »René von Sainte-Maline.«
»Herr von Carmainges, Ihr werdet den Brief tragen, und Herr von Sainte-Maline wird ihn übergeben.«
Ernauton nahm das kostbare anvertraute Gut und schickte sich an, es in sein Wams zu schließen.
Sainte-Maline hielt seinen Arm im Augenblick zurück, als der Brief verschwinden sollte, und küßte ehrfurchtsvolldas Siegel. Dann gab er den Brief Ernauton zurück. Der König lächelte üb« diese Schmeichelei.
»Ah! ich sehe, daß ich gut bedient sein werde,« sagte er.
»Ist das alles, Sire?« fragte Ernauton.
»Ja, meine Herren... nur noch eine letzte Ermahnung.«
Die jungen Leute verbeugten sich und warteten.
»Dieser Brief,« sagte Heinrich, »ist kostbarer als das Leben eines Menschen. Bei eurem Kopfe, verliert ihn nicht, übergebt ihn insgeheim dem Schatten, der euch einen Empfangsschein dafür ausstellen wird, den ihr mir einhändigt... und reist als Leute, die ihre eigenen Angelegenheiten besorgen. Geht.«
Die jungen Leute verließen das Kabinett des Königs, Ernauton von Freude erfüllt, Sainte-Maline von Eifersucht geschwollen, der eine die Flamme im Auge, der andere mit einem gierigen Blick, der das Wams seines Gefährten versengte.
Herr von Epernon wartete auf sie. Er wollte sie befragen.
»Herr Herzog,« antwortete Ernauton, »der König hat uns nicht zum Sprechen bevollmächtigt.«
Sie gingen sogleich in die Ställe, wo ihnen der Piqueur des Königs zwei kräftige und gut ausgestattete Reisepferde übergab.
Herr von Epernon wäre ihnen sicher gefolgt, um mehr zu erfahren, hätte man ihm nicht in dem Augenblick, als ihn Carmainges und Sainte-Maline verließen, gemeldet, es wolle ihn ein Mann auf der Stelle und unter jeder Bedingung sprechen.
»Wer ist der Mann?« fragte der Herzog ungeduldig.
»Der Leutnant der Prevoté.«
»Ei! Parfandious!« rief er, »bin ich Schöppe, Prevot oder Hauptmann von der Scharwache?«
»Nein, gnädigster Herr, aber Ihr seid der Freunddes Königs,« antwortete demütig eine Stimme zu seiner Linken. »Unter diesem Titel flehe ich Euch an, hört mich.«
Der Herzog wandte sich um.
In seiner Nähe stand, den Hut in der Hand und die Ohren gesenkt, ein armer Bittsteller, der in jeder Sekunde von einer Färbung des Regenbogens zur andern überging.
»Wer seid Ihr?« fragte der Herzog mit barschem Tone. – »Nicolas Poulain, Euch zu dienen, gnädigster Herr.«
»Und Ihr wollt mich sprechen?« – »Ich bitte um diese Gunst.«
»Ich habe keine Zeit.« – »Selbst nicht einmal, um ein Geheimnis zu hören, gnädigster Herr?«
»Ich höre hundert jeden Tag, das Eurige würde hundertundeines machen, das wäre um eins zu viel.« – »Selbst wenn dabei das Leben Seiner Majestät beteiligt wäre?« sagte Nicolas Poulain, sich an Epernons Ohr neigend.
»Oh! oh! ich will Euch anhören. Kommt in mein Zimmer.«
Nicolas Poulain wischte seine von Schweiß triefende Stirn ab und folgte dem Herzog.
Durch sein Vorzimmer schreitend, wandte sich Herr von Epernon an einen von den Edelleuten, die beständig hier verweilten.
»Wie heißt Ihr,« fragte er das ihm unbekannte Gesicht.
»Pertinax von Monterabeau, Monseigneur,« antwortete der Edelmann.
»Wohl! Herr von Monterabeau, stellt Euch an meine Tür und laßt niemand herein.«
Herr Pertinax, der kostbar gekleidet war und in orangefarbigen Strümpfen, mit einem Wams von blauem Atlas, den Schönen spielte, gehorchte dem Befehl Epernons, Er lehnte sich an die Wand und faßte mit gekreuzten Armen am Türvorhang Posto.
Nicolaus Poulain folgte dem Herzog, der in sein Kabinett ging, und fing ernstlich an zu zittern.
»Laßt Eure Verschwörung hören,« sagte der Herzog, »aber wenn ich meine Zeit damit verliere, nehmt Euch in acht.« – »Herr Herzog, es handelt sich ganz einfach um das schrecklichste der Verbrechen, man will den König entführen, Herr Herzog.«
»Oh! abermals diese alte Entführungsgeschichte!« versetzte Epernon verächtlich. – »Diesmal ist die Sache ziemlich ernst, Herr Herzog, wenn ich dem Anschein glauben
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