Die Fünfundvierzig
»ich nehme dies alles für wahr an. Doch es geht eines daraus hervor ...« – »Was?«
»Daß ich bei Euch schlimm daran bin.« – »Geht, wenn Ihr wollt, ich halte Euch, bei Gott! nicht zurück.«
»Ihr stellt Euch, als verstündet Ihr nicht.« – »Im Gegenteil, ich verstehe Euch vortrefflich. Es wäre Euch lieb, wenn Ihr mir den Brief nehmen könntet, um ihn selbst zu tragen? Leider müßtet Ihr mich zu diesem Behufe töten.«
»Wer sagt Euch, daß ich nicht Lust dazu habe?« – »Wünschen und tun ist zweierlei.«»Steigt mit mir nur bis zum Rande des Wassers hinab, und Ihr werdet sehen, ob für mich wünschen und tun nicht eines ist.« – »Mein lieber Herr, wenn mir der König einen Brief zu tragen gibt ... so trage ich ihn.«
»Ich werde ihn Euch mit Gewalt entreißen, Ihr Geck.« – »Ihr wollt mich hoffentlich nicht in die Notwendigkeit versetzen, Euch wie einem tollen Hund den Schädel zu zerschmettern?«
»Ihr?« – »Allerdings; ich habe eine große Pistole, und Ihr habt keine.«
»Ah! das wirst du mir bezahlen,« rief Sainte-Maline, der sein Pferd einen Seitensprung machen ließ. – »Ich hoffe es wohl, nachdem ich meinen Auftrag besorgt habe.«
»Schelm.« – »Für den Augenblick nehmt Euch in acht, ich bitte Euch, Herr von Sainte-Maline, denn wir haben die Ehre, dem König zu gehören. Bedenkt, welch ein Triumph für die Feinde Seiner Majestät, wenn sie Uneinigkeit zwischen den Verteidigern des Thrones wahrnähmen.«
Sainte-Maline biß in seine Handschuhe, daß das Blut unter seinem wütenden Zahn hinablief.
»Oh! oh! mein Herr,« sagte Ernauton, »bewahrt Eure Hände, um den Degen zu halten, wenn wir so weit sind.«
»Oh! ich zerberste!« rief Sainte-Maline. – »Dann besorgt Ihr mein Geschäft.«
Man kann nicht wissen, wie weit die wachsende Wut Sainte-Malines gegangen wäre, als plötzlich Ernauton eine Sänfte erblickte, einen Schrei des Erstaunens ausstieß und anhielt, um eine halb verschleierte Dame zu betrachten.
»Mein Page von gestern!« murmelte er.
Die Dame sah nicht aus, als erkennte sie ihn; sie fuhr vorüber, ohne eine Miene zu verziehen, warf sich jedoch in den Hintergrund der Sänfte.
»Cordieu! ich glaube, Ihr laßt mich warten,« sagte Sainte-Maline, »und zwar, um Frauen anzuschauen.« –»Ich bitte Euch um Verzeihung, mein Herr,« versetzte Ernauton und ritt weiter.
Von diesem Augenblick an ritten die jungen Leute in starkem Trab und sprachen nicht einmal mehr, um zu streiten. Sainte-Maline schien äußerlich ziemlich ruhig; in Wirklichkeit bebten aber noch alle Muskeln seines Körpers vor Zorn. Überdies hatte er erkannt, daß er, obgleich ein guter Reiter, im gegebenen Fall Ernauton nicht zu folgen vermöchte, indem sein Pferd weit geringer war, als das seines Gefährten, und schwitzte, ohne nur gelaufen zu sein.
Dies beunruhigte ihn ungemein; um sich zu versichern, was sein Roß zu tun imstande wäre, plagte er es mit der Gerte und mit dem Sporn; das Tier nahm, anders wie Ernauton, den Streit auf, machte einen Seitensprung, bäumte sich sodann, bockte und entledigte sich seines Reiters, nachdem es in das Flüßchen Bièvre gesprungen war.
Man hätte auf eine Stunde die Verwünschungen Sainte-Malines hören können, obgleich sie halb durch das Wasser erstickt wurden. Als es ihm gelungen war, sich wieder auf seine Beine zu stellen, traten ihm die Augen aus den Höhlen, und einige Blutstropfen, die aus seiner geschundenen Stirne flossen, durchfurchten sein Gesicht.
Sainte-Maline schaute umher; sein Pferd war schon wieder die Böschung hinaufgestiegen, und man erblickte nur noch sein Kreuz, woraus hervorging, daß der Kopf dem Louvre zugewendet sein mußte.
Gerädert, mit Kot bedeckt, bis auf die Knochen naß, blutend und gequetscht, begriff Sainte-Maline die Unmöglichkeit, sein Roß wieder einzufangen; nur einen Versuch in dieser Hinsicht zu machen, wäre lächerlich gewesen.
Da erinnerte er sich der Worte, die er zu Ernauton gesagt hatte; als er in der Rue Saint-Antoine nicht eine Minute auf seinen Gefährten warten wollte, warum sollte sein Gefährte die Gefälligkeit haben, ein paar Stunden auf der Straße auf ihn zu warten? Jetzt noch mehr von Verzweiflung, als vorher von Zorn zermartert, zogSainte-Maline seinen Dolch; einen Augenblick hatte er den Gedanken, sich ihn bis an das Heft in die Brust zu bohren. Was er in diesem Augenblick litt, vermöchte niemand zu sagen, nicht einmal er selbst... Man stirbt an einer solchen Krise, oder wenn man
Weitere Kostenlose Bücher