Die Fuenfzig vom Abendblatt
Burgfrieden zu schließen. Der Krieg war aus. Ein Krieg, den Dr. Malborn erklärt und mit einem blauen Auge verloren hatte.
Allerdings, wie er jetzt in seiner Loge einträchtig mit Sprinter zusammensaß, war von diesem blauen Auge weit und breit nichts zu sehen.
In der ersten Reihe des Parketts saß Kriminalkommissar Haustecher. Neben ihm sein Assistent. Heute hatte der kleine, untersetzte Opitz seinen grauen Gummimantel zu Hause gelassen. Die 250-Kubikzentimeter-DKW allerdings parkte vor dem Eingang des Unionhauses, zwischen einer Menge von Autos eingeklemmt. Kein Zweifel, dieses Konzert würde zu einem vollen Erfolg für den Komponisten werden. Darüber waren sich heute Publikum und Presse einig. Schon vor der Pause wollte der Beifall kein Ende nehmen. Und steigerte sich noch, als dann im zweiten Teil der Sohn des Komponisten angekündigt wurde.
Etwas befangen trat ein schlanker, schmaler Junge mit seiner Geige ins Licht der Scheinwerfer.
Die sechste und siebente Reihe des Parketts kannte jetzt kein Halten mehr.
„Klaus! Klaus!“
Jetzt hob Vater Verhoven den Taktstock.
Augenblicklich kam Ruhe in den Saal. Und wenn diese Ruhe noch zur völligen Stille zu steigern war, dann war es gleich nach dem Vorspiel des Orchesters soweit.
Klaus hatte seine Geige aufgenommen und spielte jetzt erstmals klar und deutlich das Grundmotiv des „Adagio“.
Das Publikum in den Rängen, Logen und im Parkett saß still und regungslos wie in der Kirche. Alle Blicke waren auf die schmale Gestalt des Jungen gerichtet, der da vorne dicht neben dem Dirigenten stand und dessen Spiel jetzt ganz zart und leise im Saal zu hören war.
In der Mitte der sechsten Reihe saß Mario neben Harald, und neben Harald saß Alibaba.
Der Boß schob sich ein ganz klein wenig in seinem Stuhl zurecht. Er hatte die Arme vor sich gekreuzt und die Beine lang ausgestreckt. Kurzum, er fühlte sich in diesem Konzertsaal und mitten in seiner Horde wohl wie eine Ölsardine, solange sie noch im Wasser ist.
Und zum Schluß eine Parade mit viel Konfetti
Das große runde Zifferblatt an der breiten Vorderfront der Telefunkenwerke zeigte sieben Uhr. Sieben Uhr abends.
Am Großen Stern flammte die Straßenbeleuchtung zuerst auf. Dann sprang es hinüber zur Hafenchaussee, in die Werftstraße, zur Bogenbrücke---
Zwei Minuten nach sieben stand Alibaba im Hinterhof des Abendblattes auf der Ausgaberampe. Die ersten Stapel der neuen Auflage kamen gerade auf Rollbändern aus der Druckerei. Der alte Bombinsky stand längst mit seiner Liste bereit.
„Horst Buschke!“
Die ersten beiden Zeitungspakete flogen in Richtung eines untersetzten, strohblonden Jungen.
„Sam!“
Der kleine Negerjunge bekam seine Ladung kunstgerecht vor die Brust. Er fing sie auf wie ein Torwart seinen Ball.
„Klaus Verhoven!“
Brille ging gerade noch rechtzeitig in Deckung. Die Pakete zischten an seiner linken Schulter vorbei.
„Dieter Lange!“
Name folgte auf Name. Ein Zeitungspaket flog nach dem anderen von der Ausgaberampe herunter mitten unter die Horde.
Wie eben an jedem Abend.
Das riesige Gebäude des Abendblattes lag fast ohne Licht. Die langen Reihen der Fenster sahen aus wie große, schwarze Vierecke.
Lediglich ein paar Räume, die dem Hinterhof zugewandt lagen, waren noch beleuchtet. Der Maschinensaal der Druckerei, die Zimmer der Nachtbereitschaft und die Fernschreiberzentrale.
Eine Zeitung schläft nie ganz. Irgendwo wacht immer noch etwas in ihrem riesigen Mechanismus und wartet.
Harald hatte den ersten Tag in der Redaktion hinter sich. Er hätte eigentlich schon vor einer Stunde nach Hause gehen können.
Aber so ein erster Tag hat es in sich. Vermutlich würde er in dem Beruf, den er heute begonnen hatte, sein ganzes Leben zubringen. Das Zimmer 417 gehörte zur Sportredaktion und lag im zweiten Stock. Bis gestern war es noch ausschließlich für Rudi Pleschke reserviert gewesen.
Aber seit heute früh stand ein zweiter Schreibtisch in dem Raum. Ein paar Männer, die wohl in der Packerei beschäftigt waren, hatten ihn gebracht.
„Für den Neuen —“
Dieser „Neue“ wurde ebenfalls seit heute als Volontär in der Personalkartei geführt. „Volontär Harald Madelung —“
Der Name stand auch schon auf einem kleinen Schild an der Tür. Allerdings noch mit der Hand und mit Tinte geschrieben. Aber Rudi Pleschke hatte bereits der Druckerei im Erdgeschoß einen entsprechenden Auftrag erteilt. Mit der Bitte um beschleunigte Ausführung
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