Die Furcht des Weisen / Band 1
Wettstreit.
Er ließ uns aus ungewöhnlichen Quellen Wärme entlocken, aus rot glühendem Eisen, aus Eisblöcken oder aus unserem eigenen Blut. Kerzen in anderen Räumen zu entzünden war dabei noch die leichteste Übung. Aus einem Dutzend identischer Kerzen nur eine bestimmte zu entzünden, war schon schwieriger. Aber eine Kerze zu entzünden, die man nie gesehen hatte und die sich darüber hinaus an einem unbekannten Ort befand … das war wie Jonglieren im Dunkeln.
Wir wetteiferten in puncto Präzision und Geschicklichkeit, Fokussierung und Lenkung. Nach zwei Spannen stand ich in unserer Seminargruppe, die aus dreiundzwanzig Re’lar bestand, an erster Stelle. Fenton folgte knapp abgeschlagen auf Platz zwei.
Wie der Zufall wollte, war es der Tag nach meinem Einbruch bei Ambrose, an dem wir uns im Sympathie-Seminar zu duellieren begannen. Diese Duelle erforderten die gleichen Fähigkeiten wie die vorangegangenen Wettstreite, und die zusätzliche Herausforderung bestand darin, gegen einen Kommilitonen anzutreten, der sich dem eigenen Alar entgegenstemmte.
Obwohl ich also gerade erst nach einem Ohnmachtsanfall aufgrund von Überhitzung in der Mediho gelandet war, schmolz ich in einem entfernten Raum ein Loch in einen Eisblock. Und obwohl ich zuvor zwei Nächte lang kaum geschlafen hatte, hob ich die Temperatur eines bestimmten Quantums Quecksilber um genau zehn Grad. Und obwohl ich am ganzen Körper und besonders in meinem bandagierten Arm Schmerzen litt, riss ich einen Pikkönig entzwei und ließ das restliche Kartenspiel dabei gänzlich unversehrt.
All diese Taten vollbrachte ich in jeweils unter zwei Minuten und obwohl Fenton währenddessen sein gesamtes Alar gegen mich in |258| Stellung brachte. Nicht umsonst begann man mich damals Kvothe den Arkanen zu nennen. Mein Alar glich einer Klinge aus Ramston-Stahl.
»Es ist ziemlich beeindruckend«, sagte Dal nach dem Ende der Veranstaltung zu mir. »Ich habe seit vielen Jahren keinen Studenten mehr gehabt, der so lange ungeschlagen blieb. Wettet denn überhaupt noch jemand gegen dich?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, schon lange nicht mehr.«
»Das ist der Preis des Ruhms.« Dal lächelte und blickte dann wieder ein wenig ernster. »Ich wollte dich vorwarnen, bevor ich es im Seminar bekanntgebe. In der nächsten Spanne werde ich wahrscheinlich anfangen, die Studenten paarweise gegen dich antreten zu lassen.«
»Dann muss ich gleichzeitig gegen Fenton und Brey bestehen?«, fragte ich.
Dal schüttelte den Kopf. »Wir fangen mit den beiden Duellanten an, die bisher am schlechtesten abgeschnitten haben. Das wird eine gute Überleitung zu den Gemeinschaftsübungen, die später im Trimester drankommen.« Er lächelte. »Und es dürfte verhindern, dass du vollends den Boden unter den Füßen verlierst.« Dann sah er mich plötzlich mit durchdringendem Blick an, und sein Lächeln schwand. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich fröstele nur ein wenig«, sagte ich wenig überzeugend und schlotterte weiter vor mich hin. »Könnten wir uns ans Kohlenbecken stellen?«
Ich ging so nah heran, wie ich nur konnte, und spreizte die Hände über der Kohlenglut. Der Schüttelfrost verging, und ich bemerkte, dass Dal mich neugierig musterte.
»Ich musste vorhin kurz in die Mediho. Eine leichte Überhitzung«, gestand ich. »Mein Körper ist noch etwas durcheinander. Aber jetzt geht’s mir schon wieder viel besser.«
Er runzelte die Stirn. »Wenn du gesundheitlich angeschlagen bist, solltest du nicht zum Unterricht kommen«, sagte er. »Und schon gar |259| nicht solltest du dich duellieren. Diese Art von Sympathie stellt für Körper und Geist eine enorme Strapaze dar. Du solltest nicht riskieren, dadurch eine Krankheit noch zu verstärken.«
»Es ging mir gut, als ich zum Seminar kam«, log ich. »Mein Körper will mich nur daran erinnern, dass ich ihm noch eine Mütze Schlaf schulde.«
»Dann solltest du diese Erinnerung beherzigen«, sagte er streng und hielt nun ebenfalls die Hände über die Glut. »Wenn du dich zu sehr schindest, wirst du später dafür bezahlen. Du sahst in letzter Zeit ziemlich fertig aus. Also, ›fertig‹ ist eigentlich nicht das richtige Wort.«
»Erschöpft?«, schlug ich vor.
»Ja. Erschöpft.« Er betrachtete mich mit grüblerischer Miene und strich sich über den Bart. »Du bist sprachbegabt. Das ist einer der Gründe, weshalb du bei Elodin studierst, nehme ich an.«
Darauf erwiderte ich nichts. Dal bemerkte das und sah mich neugierig
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