Die Furcht des Weisen / Band 1
gesehen.«
Eine Handvoll Leute kam herein und sie riefen etwas auf Yllisch. |264| Stanchion winkte ihnen zu. »Die Pflicht ruft«, sagte er und ging die neuen Gäste begrüßen.
»Apropos Schirmherr«, sagte ich zu Threpe. »Es gibt da etwas, wozu ich gern deine Meinung hören würde.« Ich senkte die Stimme. »Und ich möchte, dass das unter uns bleibt.«
Threpes Augen funkelten vor Neugier, und er beugte sich zu mir vor.
Ich trank noch einen Schluck und sammelte meine Gedanken. Der Wein setzte mir schneller zu, als ich erwartet hatte. Das war eigentlich ganz angenehm, denn es dämpfte den Schmerz meiner vielen Verletzungen. »Ich nehme an, du kennst so ziemlich jeden potenziellen Schirmherrn im Umkreis von hundert Meilen.«
Threpe zuckte die Achseln, hielt sich nicht mit falscher Bescheidenheit auf. »Eine ganze Anzahl von ihnen. Jeden, der es ernst damit meint. Jedenfalls jeden, der das nötige Geld dafür hat.«
»Ich habe da eine Freundin«, sagte ich. »Eine Musikerin, die noch ganz am Anfang steht. Sie ist ein Naturtalent, hat aber noch keine richtige Ausbildung erhalten. Nun ist jemand an sie herangetreten, mit dem Angebot, ihr zu helfen, und der Aussicht auf eine eventuelle Schirmherrschaft …« Ich verstummte und wusste nicht recht, wie ich das Weitere erklären sollte.
Threpe nickte. »Du willst sicher wissen, ob der Mann seriös ist«, sagte er. »Das ist eine berechtigte Sorge. Manche Leute meinen, ein Schirmherr hätte ein Anrecht auf mehr als nur die Musik.« Er deutete zu Stanchion hinüber. »Wenn du Geschichten über so etwas hören willst, dann frag ihn nach damals, als die Herzogin Samista hier ihre Sommerfrische verbracht hat.« Er kicherte – es klang fast wie ein Seufzen – und rieb sich die Augen. »Himmel Herrgott, diese Frau war wirklich beängstigend.«
»Eben das ist meine Sorge«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob man ihm trauen kann.«
»Wenn du magst, kann ich mich gern mal umhören«, sagte Threpe. »Wie heißt er denn?«
»Damit geht’s schon los«, erwiderte ich. »Ich weiß nicht, wie er heißt. Und ich glaube, meine Freundin weiß es auch nicht.«
Threpe runzelte die Stirn. »Wie kann sie denn nicht wissen, wie er heißt?«
|265| »Er hat ihr einen Namen genannt, aber sie weiß nicht, ob es sein richtiger Name ist. Er scheint sehr auf seine Privatsphäre bedacht zu sein und hat ihr strikte Anweisung gegeben, niemandem von ihm zu erzählen«, sagte ich. »Sie treffen sich nie zweimal am gleichen Ort. Und nie in der Öffentlichkeit. Und er verschwindet immer wieder monatelang.« Ich sah Threpe an. »Wie hört sich das für dich an?«
»Na ja, das ist ja wohl kaum ganz in Ordnung«, sagte er in deutlich missbilligendem Ton. »Es ist gut möglich, dass dieser Mann gar kein richtiger Schirmherr ist. Es klingt, als würde er deine Freundin vielleicht nur ausnutzen.«
Ich nickte. »Genau das habe ich auch gedacht.«
»Andererseits wirken manche Schirmherren lieber im Verborgenen«, sagte Threpe. »Wenn sie jemanden entdecken, der mit einer großen Begabung gesegnet ist, fördern sie ihn insgeheim, so dass niemand etwas davon erfährt, und dann …« Er machte eine dramatische Geste. »… zaubern sie wie aus dem Nichts einen brillanten Musiker hervor.«
Er lächelte mir liebevoll zu. »Ursprünglich dachte ich ja, so hätte es jemand mit dir gemacht«, gestand er. »Du bist damals wie aus dem Nichts hier aufgetaucht und hast gleich dein Abzeichen errungen. Ich dachte, jemand hätte dich versteckt, bis du bereit warst für deinen großen Auftritt.«
»Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen«, sagte ich.
»So was kommt durchaus vor«, sagte Threpe. »Aber diese geheimnisvollen Treffen … und dass sie nicht weiß, ob sie überhaupt seinen richtigen Namen kennt …« Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Das ist zumindest äußerst ungehörig. Diesem Mann bereitet es entweder großes Vergnügen, den Gesetzlosen zu spielen, oder er ist tatsächlich ein windiger Bursche und die Sache nicht astrein.«
Threpe grübelte noch einen Moment lang vor sich hin und klopfte dabei rhythmisch mit den Fingerspitzen auf den Tresen. »Sag deiner Freundin, sie soll vorsichtig sein und einen kühlen Kopf bewahren. Es ist eine schreckliche Sache, wenn ein Schirmherr eine ihm anvertraute Frau ausnutzt. Das ist Verrat. Ich habe aber auch |266| Männer gekannt, die sich nur als Schirmherrn ausgaben, um sich ins Vertrauen einer Frau zu schleichen.« Er runzelte die Stirn.
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