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Die Furcht des Weisen / Band 1

Die Furcht des Weisen / Band 1

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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sagte Sim.
    Ich steckte den Splitter direkt neben dem brennenden Docht in das weiche Kerzenwachs. Er zischte leise auf, und dann umfing ihn die Flamme. Ich murmelte nacheinander zwei Bindungen, und zwar ganz langsam, damit meine tauben Lippen die Worte nicht womöglich undeutlich aussprachen.
    »Was machst du da?«, fragte Sim eindringlich. »Willst du dich selber kochen?« Als ich nicht antwortete, trat er vor, als ob er die Kerze umstoßen wollte.
    Wil hielt ihn am Arm zurück. »Seine Hände sind eiskalt«, sagte er leise. »Er ist kalt. Durch und durch kalt.«
    Sims Blicke schossen zwischen uns beiden hin und her. Dann trat er wieder einen Schritt zurück. »Sei bloß vorsichtig, hörst du?«
    Doch ich beachtete ihn schon gar nicht mehr. Ich hatte die Augen |272| geschlossen und verband nun die Kerzenflamme mit dem Kaminfeuer im Schankraum. Dann stellte ich vorsichtig die zweite Verbindung her – zwischen dem Blut an dem Holzsplitter und dem Blut in mir. Es war so ähnlich wie das, was ich mit dem Weintropfen im EOLIAN getan hatte. Nur mit dem offenkundigen Unterschied, dass ich mein Blut nicht zum Sieden bringen wollte.
    Erst spürte ich nur einen kurzen Wärmekitzel, längst nicht genug. Doch als ich mich inniger konzentrierte, wurde ich von Wärme durchströmt, und mein ganzer Leib entspannte sich. Ich hielt die Augen weiter geschlossen und richtete meine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Bindungen, bis ich mehrere lange, tiefe Atemzüge tun konnte, ohne zu schaudern oder zu zittern.
    Da schlug ich die Augen wieder auf. Meine beiden Freunde sahen mich erwartungsvoll an, und ich lächelte ihnen zu. »Alles in Ordnung.«
    Doch im selben Moment begann ich zu schwitzen. Mir war mit einem Mal sehr warm, viel zu warm, so warm, dass mir schlecht davon wurde. Ich löste so schnell die Bindungen, wie man eine Hand von einer heißen Herdplatte fortreißt.
    Dann atmete ich ein paar Mal tief durch und ging ans Fenster. Ich öffnete es und genoss die kühle Herbstluft und den Geruch von totem Laub und nahendem Regen.
    Einen Moment lang herrschte Schweigen.
    »Das sah aus wie Binderfrost«, sagte Simmon schließlich.
    »Es hat sich auch so angefühlt«, erwiderte ich.
    »Vielleicht hat dein Körper die Fähigkeit verloren, seine Tempera zu regeln?«, meinte Wilem.
    »Temperatur«, berichtigte ihn Sim.
    »Das würde aber nicht das Brennen auf meiner Brust erklären«, sagte ich.
    Sim sah mich an. »Brennen?«
    Ich war inzwischen nassgeschwitzt und daher froh über einen Vorwand, das Hemd ablegen zu dürfen. Große Partien meiner Brust und meines Oberarms waren knallrot, in scharfem Kontrast zu meiner ansonsten so hellen Haut. »Mola meint, das wäre nur ein Ausschlag, und ich soll mich nicht so anstellen. Aber bevor ich in den Bach gesprungen bin, war das noch nicht da.«
    |273| Sim beugte sich vor und sah es sich genauer an. »Ich glaube immer noch, dass hier ungebundene Prinzipien am Werk sind«, sagte er. »Die können bizarre Wirkungen auf Menschen haben. Wir hatten letztes Trimester in Alchemie einen E’lir, der nur ganz kurz mal nicht aufgepasst hat. Der konnte anschließend fast zwei Spannen lang nicht mehr schlafen und auch nicht mehr scharf sehen.«
    Wilem ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Was kann dafür sorgen, dass einem kalt, dann wieder heiß, dann wieder kalt wird?«
    Sim gab ihm ein halbherziges Lächeln zur Antwort. »Klingt fast wie ein Rätsel.«
    »Ich hasse Rätsel«, sagte ich und griff nach meinem Hemd. Dann schrie ich auf und hielt mir den immer noch nackten, linken Bizeps. Blut quoll mir zwischen den Fingern hervor.
    Sim sprang auf und sah sich hektisch um. Er wusste offenbar nicht, was er tun sollte.
    Ich fühlte mich wie von einem unsichtbaren Messer gestochen. »Gott. Verdammte. Scheiße«, stieß ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Als ich die Hand kurz anhob, klaffte in meinem Arm eine kleine, kreisförmige Wunde, die dort plötzlich, wie aus dem Nichts entstanden war.
    Simmon blickte mich entsetzt an und hielt sich dann die Hände vors Gesicht. Er sagte etwas, aber ich war in diesem Moment zu sehr damit beschäftigt, mich zu konzentrieren, um ihm zuzuhören. Und ich wusste ohnehin, was er sagte:
Sympathievergehen
. Natürlich. Das alles war ein Sympathievergehen. Jemand attackierte mich.
    Ich versenkte mich in das Steinerne Herz und bot mein gesamtes Alar auf.
    Doch der unbekannte Angreifer vergeudete keine Zeit. Knapp unterhalb der Schulter spürte ich einen stechenden

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